Welt

Mosi-Oa-Tunya – der Rauch, der donnert

Eines steht fest: Für Paddler gibt es hier in erster Linie ein Ziel – die Bezwingung der Strecke, die als vielleicht härteste kommerzielle Raftingtour weltweit gehandelt wird: die Standardstrecke des Sambesi direkt unterhalb der Fälle. Aber von vorne: Auf einem Nachtflug schweben wir über Johannesburg nach Livingstone ein. Vom Flughafen geht es direkt zum Szenetreff Waterfront, wo wir unsere Leihboote aussuchen. Wie so oft in Afrika ist anfangs niemand zu erreichen und alles erscheint schrecklich unmöglich, bis man abends dann doch alles organisiert hat, nur eben anders als wir es in Europa gewohnt sind. Auf jeden Fall diskutieren wir ewig, wer welches Boot nehmen soll und welches Boot in welcher Situation vielleicht besser sein könnte. Spät dämmert uns, dass wir uns zu diesem Zeitpunkt diese Diskussion hätten ersparen können. Wir waren schlichtweg noch nie mit ähnlichem Wuchtwasser konfrontiert. Gespaltener Meinung sind wir darüber, ob viel Volumen eher von Vor- oder Nachteil ist, da man mit kleinerem Boot ja eher durch die dicksten Koffer durchgedrückt, dafür mit mehr Volumen nicht von jedem kleinen Brecher aus der Linie geworfen wird. Bis spät in die Nacht fitten wir an unseren Booten herum und fallen von Riesenwellen und -walzen träumend in den Schlaf, nachdem wir ein Gutenachtgebet an Nyami Nyami gesprochen haben. Diese Gottheit der Tonga lebt im Körper einer riesigen Schlange mit dem Kopf eines Krokodils und wacht über die Menschen am Sambesi – und ist in Form geschnitzter Anhänger für fast jeden Paddler obligatorisches Souvenir.

Ein paar Bier. Dann ins Krankenhaus.

Bereits beim Ausschlingen aus dem kreisenden Riesenkehrwasser unterhalb des Boiling Pot am Standardeinstieg macht der Sambesi klar, in welchen Dimensionen ab sofort gespielt wird. Nur mit Mühe schaffen wir es in die Hauptströmung und unter der Sambia mit Simabwe verbindenden Bungeebrücke hindurch. Vor ein paar Jahren riss das Seil, und die bedauernswerte Springerin wurde mitsamt einigen Metern Bungeecord die nächsten Stellen hinuntergespült. Wie durch ein Wunder überlebte sie, wir verzichten dankend auf diese Nahtoderfahrung. Die folgenden harmlosen Schwälle der ersten Geraden stimmen einen auf den ersten Kracher ein: Um die Ecke wartet Morning Glory mit einer gut machbaren Anfahrt rechts und einer ziemlich fetten Walze für harte Männer linkerhand, Ausgang Klospülung für alle. Nummer 5, Stairway to Heaven, ist der nächste Paukenschlag direkt nach der Wasserzufuhr von links. In der Mitte führt eine Zunge beeindruckend aber konsequenzenarm zwischen riesigen Wellenwänden in die finalen Schlussbrecher. 

»Wir müssen mit Kitt schnell in die Notaufnahme. Zwei Tage setzt er aus und rollert auf einer Plastikflasche herum.«

Der megafette Kicker eingangs rechts hat einen geradezu magnetischen Aufforderungscharakter, doch sollte man aufpassen: Erstens ist er gar nicht so leicht zu treffen wie es aussieht, und zweitens ist das Unterwasser nicht überall richtig tief. Kitt erwischt ihn perfekt und landet völlig flach im klaren Wasser. Er bringt die restliche Fahrt mit drei Umtragungen unter Höllenqualen hinter sich, noch in der Mitte der Strecke wird er plötzlich weiß im Gesicht und fällt beinahe in Ohnmacht. Wir bewältigen den mühsamen Ausstieg hoch zur Taita Falcon Lodge ohne Ladung immerhin genau so schnell wie die Träger mit den Booten auf der Schulter. An der Bar lassen sich nach den Strapazen entspannt ein paar Bier mit herrlichem Blick in die Schlucht verhaften, doch wir müssen mit Kitt schnell in die Notaufnahme des ortsansässigen Krankenhauses. Durch diese Aktion lernen wir erstens die Lektion, dass man in Livingstone nie aus ernsten Gründen in der Notaufnahme landen will (für diesen Fall hat fast jeder Bewohner eine spezielle Versicherung, die einen im Fall des Falles sofort nach Südafrika ausfliegt) und zweitens, dass man anhand der von Kitts Rücken gemachten Röntgenaufnahme allerhöchstens erkennen kann, dass das verantwortliche diagnostische Gerät schon sehr, sehr alt sein muss. Kitt setzt zwei Tage aus und rollert von früh bis spät mit dem Rücken auf einer Wasserflasche aus Plastik herum. „Faszien mobilisieren“, stöhnt er dabei.

Commercial Suicide? Klingt nicht sehr einladend.

Wir anderen begeben uns noch einmal auf die gleiche Etappe und lernen mit etwas mehr Ruhe den Rest der Stellen besser kennen. Besonders beeindruckend ist Gullivers Travels, der längste Katarakt mit unübersichtlicher Einfahrt und einigen Watschenbrechern am Ende – hier gleicht keine Befahrung der vorigen! Es folgt die mächtige Wasserwand von Star Trek, dann heißt es aussteigen und besichtigen (und für die meisten wie auch für uns: umtragen!). Commercial Suicide, dessen Name ja schon nicht sehr einladend klingt, erschlägt einen schon beim Besichtigen schier mit seiner puren Wassergewalt, die sich in zwei monströsen Rückläufen manifestiert. Linien gibt es mittlerweile einige, aber es bedarf zusätzlich schon einer guten Portion Selbstbewusstsein, wenn man hier antreten will. Für Sven von der Waterfront bleibt CS ein Mysterium: „Ich bin vier Mal gefahren, zwei Mal problemlos, zweimal geschwommen, und ich weiß nicht was ich anders gemacht habe!“ 

Stoff für Alpträume

Ehrlich gesagt, allein der Gedanke in dieser Stelle zu schwimmen, bietet für uns Stoff für eine ganze Alptraumserie. Auch noch ein wenig unangenehm werden kann der Overland Truckeater. Angesichts des überaus giftigen, pulsierenden Kingsize-Kehrwassers auf der linken Seite, dem man durch einen beherzten Boof durch eine Querwalze nach rechts entkommen möchte, hätte sich wohl auch niemand über den Namen „Intercontinental Overland Don’t End in the Eddy where Olaf Obsommer once Swam Truckeater“ gewundert. Bald darauf folgen Weltklasse-Surfwellen, bis wir dieses Mal die Taita Lodge hoch über uns zurücklassen und uns durch so manche weitere überraschend wuchtige Wuchtbrummer bis zum Ausstieg an der Seilbahn kämpfen, von wo aus auch Speedbootfahrten angeboten werden. 

Drama um Süßigkeiten

Wir sind nach der langen Tour so erfreut unsere Träger zu sehen, dass wir sie auf der Rückfahrt spontan auf einen Drink einladen, was wir in der Bar in ihrem Dorf, umringt von einer stetig wachsenden Menschen- und vor allem Kindertraube, gleich in die Tat umsetzen. Als alle Träger und Paddler und Fahrer versorgt sind, kaufen wir mit unserem letzten Geld im anliegenden Laden Chips und Sweets für die Kinder und verteilen alles in die Runde – in der Meinung etwa Gutes getan zu haben. Doch weit gefehlt, kaum ist alle Ware verteilt, strömen immer mehr Menschen herbei, und aus fordernden Rufen werden aggressive Schreie. Ein besonders erboster Vater schiebt sein Kind vor und erklärt, dieses habe noch nichts bekommen, wir sollten gefälligst mehr kaufen. Bevor die Situation eskaliert, flüchten wir irritiert. Von Sven erfahren wir später, dass auch er es auf die „harte Tour“ lernen musste und seitdem Süßigkeiten nur noch verteilt, indem alle Kinder zusammengerufen und in einer Reihe postiert werden. Nur so wäre gewährleistet, dass alle Kinder etwas abbekommen.

Warmes, weiches Wasser

Die Folgestrecke bis zum geplanten neuen Damm gehen wir am nächsten Tag an. Die schweren Stellen sind deutlich weiter auseinander als im oberen Teil und auch deutlich weniger spektakulär, dazwischen hat man lange ruhige Strecken. Highlight dieser Etappe sind die Lower Moemba Falls, bei denen sich der ganze Fluss durch einen nur 15 Meter breiten Felskanal fräst – fahrbar aber gewaltig und historisch auch schon mit Todesfällen besetzt. Insgesamt eine Etappe, die man im Laufe einer Woche einmal gemacht haben sollte, aber aufgrund der langen Flachetappen auch nicht unbedingt öfters. 

Zum Abschluss unseres Trips besichtigen wir die Minus Rapids, die direkt unterhalb der Vic Falls zu finden sind. Erst muss am Standard-Einstieg traversiert werden, dann trägt man die Boote Rapid #1 hoch und paddelt bis in den eigentlich Boiling Pot. Wir kämpfen uns in einem riesigen Kehrwasser durch einen Teppich aus Wasserpflanzen Richtung Ufer, als plötzlich ein gar nicht so kleines Krokodil neben uns ins Wasser platscht und schnell in der Tiefe verschwindet. Eigentlich sind solche Exemplare in der oberen Strecke ja angeblich selten anzutreffen, aber Ausnahmen bestätigen anscheinend die Regel. Minus 1 und 2, für Extrempaddler inzwischen Standardprüfstein im Wuchtwasserexamen, beeindrucken uns leider mehr als geplant, sodass wir von einer Befahrung Abstand nehmen. Aber immerhin können wir die extremen Videosequenzen jetzt ein wenig besser einordnen.

Monsterwalzen werden zu den besten Surfwellen der Welt.

Fassen wir zusammen: Die Standardstrecke des Sambesi ist jetzt nicht gerade ein Wanderfluss. Doch war man auf der ersten Fahrt froh, die einzelnen Stellen überhaupt halbwegs kontrolliert überlebt zu haben, stellt sich auf den Folgefahrten schnell eine gewisse Gewöhnung ein. Das unglaublich warme Wasser –  wärmer als ein deutscher Badesee im Hochsommer –  fühlt sich sonderbar weich an. Während man in norwegischem Wuchtwasser oft eins „gewaffelt“ bekommt, hat man hier deutlich weniger Atemprobleme. Schon nach kurzer Zeit stumpfen wir zu unserer Freude ab. Die anfangs allesfressenden Monsterwalzen mutieren zu den besten Surfwellen der Welt und wir suchen eher jedes Loch, als dass wir ihm ausweichen wollen. Zudem müssen wir erkennen, dass die Walzen am Sambesi einen nie wirklich lange behalten wollen. Nach einer, zwei oder drei Runden ist man gleich wieder draußen. Wer solide rollt, gerne auch mal bei etwas mehr Wasser paddelt und obendrein noch abenteuerlustig ist, sollte sich in seinem Paddelleben dieses Erlebnis nicht entgehen lassen! 

Reiseinfo Sambesi


Der Sambesi ist mit über 2500 Kilometern Fließstrecke nach Nil, Kongo und Niger der viertlängste Fluss Afrikas. Er entspringt im Norden Sambias, fließt nach einem Abstecher nach Angola wieder zurück, bildet dann auf mehreren hundert Kilometern die Grenze zu Simbabwe und mündet in Mosambik in den Indischen Ozean. Die relevante Wildwasserstrecke ist etwa 120 Kilometer lang und beginnt direkt unterhalb der Viktoriafälle, mit Abstand am häufigsten befahren werden allerdings nur die ersten 23 Kilometer.



Charakter: Der Sambesi bietet neben warmen Temperaturen vor allem mächtig viel Wuchtwasser im Drop-and-Pool-Stil, mit diversen herausragenden Surfwellen und anderen Spielstellen. Bei „wenig“ Wasser , also so um die 300 m³/s (November-Dezember), ist die Standardetappe für alle Paddler zu empfehlen, die sich in WW III und IV wohlfühlen, sicher rollen und bereit sind, neue Wuchtwasser-Dimensionen kennen zu lernen. Alle Rapids können zur Not umhoben werden, auch wenn man sich erstaunlich schnell an die neuen Umstände gewöhnt und dank der Badewannen-Verhältnisse gerne auch mal etwas tollkühnere Linien probiert als gewohnt. Bei höheren Wasserständen dürfte die Strecke ausgewiesenen Wuchtwasserexperten vorbehalten bleiben. Landschaftlich sehr lohnend, aber mit deutlich weniger Stromschnellen folgt die Weiterfahrt bis zum geplanten neuen Staudamm unterhalb der beeindruckenden Lower Moemba Falls. Auf den unteren Etappen bis hin zum Kariba-Stausee sinkt die Wildwasserdichte weiter. Dafür spielen endlich ausgewachsene Krokodile und Nilpferde mit, die aufgrund der fehlenden Nahrung im oberen Bereich nicht (Hippos) oder nur selten (Crocs) anzutreffen sind (diese Etappe wird wohl eher selten befahren, evtl. Raftsupport organisieren).



Beste Zeit:


Low Water (November bis Dezember): definierte Stellen, Grundberührungen möglich.


Medium Low Water (August bis September): der wohl beste Wasserstand für Playboater, Wellen bilden sich am schönsten aus.


High Water (Juni bis Juli und Februar bis März): Hardcore-Wuchtwasser.

Super High Water (April bis Mai): Viele Stellen sind zugelaufen, extreme Verschneidungen und Pilze – das muss man dann schon wirklich wollen.



Ausrüstung: Spielboote im Flieger mitnehmen oder vor Ort leihen (z.B. bei Waterfront in Livingstone, Sean Edington, ca. 15-25 Dollar pro Tag, Fittingmaterial mitbringen). Größere Boote schwierig aber auch nicht wirklich notwendig. Sonnencreme, Langarm-Shirt und Schirmkappe am Helm wegen der Sonne. Kälteschutz kann getrost zuhause bleiben. 



Anreise: Wie auch immer mit Endstation am Flughafen Livingstone. Pass mit sechs Monaten Gültigkeit erforderlich. Visum Einzeleinreise 50 Dollar, wer einen Besuch im Chobe-Park o.ä. plant sollte bei der Einreise gleich ein Zweifachvisum für 80 Dollar erwerben.


Unterkunft: zahlreiche günstige Unterkünfte wie Jollyboys Backpackers in der Stadt. Wir waren im Thorn Tree House von Claire Powell (kleine Lodge etwas außerhalb auf dem Weg Richtung Victoriafälle) und sehr zufrieden, ca. 80 Dollar pro Nacht pro Person, im DZ 60 Dollar, Abendessen extra aber sehr lohnend. Luxuriös, elitär mit Flair und Sambesiblick (möglicher Ausstiegspunkt  der Tagesetappe vor Rapid 17) z.B. Taita Falcon Lodge, ca. 150 Dollar pro Nacht. 



Shuttles: generell nicht so einfach, wenn man sich nicht an ein Raftunternehmen hängt, Lodges bieten meist Auto mit Fahrer an. Zu organisieren sind ebenso die Träger (ein Dollar pro Tragung), alles in allem ergibt sich meist alles vor Ort mit mehr oder weniger vielen Loops. Eintritt am Standardeinstieg nicht vergessen, für Paddler zehn Dollar pro Person.



Gesundheit: Malaria-Prophylaxe (Malarone) zu empfehlen, außerdem Infektionsrisiko durch lange Kleidung und Mückenschutzmittel minimieren, fast alle Unterkünfte haben Moskitonetze über dem Bett. Impfung gegen Hepatitis und Typhus werden empfohlen.



Geld: Mit Dollars kommt man überall weiter, am besten im Vorfeld mit Kontaktpersonen klären, wie sie Zahlung für Unterkunft/Transport wünschen. Kreditkarten und EC-Karten prinzipiell möglich, aber nicht das erste Mittel der Wahl.



Amtssprache: englisch.

Mehr Wildwasser in Afrika gibt es in KANU 5/2018 (erscheint am 26. Oktober): Paddeln in Simbabwe – aber jenseits des Sambesi.