Reise Welt

Ein Fluss am Rande der Welt

Der South Nahanni River fließt im äußersten Nordwesten Kanadas, mal zahm, mal wild, mal tosend einen Wasserfall hinab. Paddlern bietet er ein Abenteuer fürs Leben.

Angela Gzowski

Das Abenteuer South Nahanni River beginnt in Fort Simpson. Es wird gelacht, voller Vorfreude, aber gleichzeitig auch etwas nervös und aufgeregt. Während so mancher mit Erlebnissen aus vergangenen Tagen prahlt, werden vorsichtig erste Kontakte geknüpft. Am nächsten Tag wird die gemeinsame Reise der kleinen Gruppe sich bislang fremder Abenteurer beginnen – eine Reise, von der alle schon lange geträumt haben. Sie stehen an der Schwelle zum gewaltigen und gänzlich surrealen South Nahanni River.

Tag 1

Mit routinierten Handgriffen wird am Morgen das Gepäck in der Twin Otter verladen. Ehe sich die Teilnehmer der Paddel-Expedition versehen, sind sie auch schon in der Luft und fliegen über eine der spektakulärsten Landschaften, die sie je gesehen haben. Für die nächsten acht Tage wird sie ihr Zuhause sein. Unten zieht das mächtige und völlig unberührte Ram Plateau vorbei. Es gleicht einer enormen Tischplatte aus Dolomit, die von den Mackenzie Mountains umgeben und von steil abfallenden Canyons durchzogen ist. Der Flug folgt dem Lauf des South Nahanni River, bis am Horizont die Virginia Falls auftauchen, jener gewaltige Wasserfall des Nahanni National Parks, der nun, da man ihn vor Augen hat, noch größer und mächtiger aussieht, als es sich so manch einer vorgestellt hat. Das Flugzeug landet sanft auf dem Wasser und setzt zum Andocken am Ufer an. Zur Stärkung gibt es erst mal eine herzhafte Mahlzeit, die am Lagerfeuer zubereitet und von den lebhaften Erzählungen der Crew-Mitglieder begleitet wird. Ihr Fundus an abenteuerlichen Geschichten scheint unendlich! Wer glaubt, dass das nächtliche Einschlafen wegen der gespannten Vorfreude auf die kommende Woche schwierig werden könnte, wird schnell eines Besseren belehrt. Nach einem Gläschen Wein am Lagerfeuer tritt nach einem ereignisreichen Tag schnell die nötige Erschöpfung ein, und das Zelt wird zur erholsamen Schlafstätte.

Tag 2

Das Aufstehen am nächsten Morgen fällt nicht schwer, denn ein erster Reise-Höhepunkt steht bevor: ein Blick auf die Virginia Falls, von den Stromschnellen der Sluice Box Rapids aus. Selbst hier, oberhalb des mächtigen Wasserfalls und mit der Gischt im Gesicht, kann man die gewaltigen Wassermassen, die sich stolze 90 Meter in die Tiefe stürzen, noch immer nicht so ganz begreifen. Nach der Rückkehr zum Camp wartet eine Halbtageswanderung auf den Sunblood Mountain, von dessen Gipfel sich ein spektakulärer Blick aus der Vogelperspektive auf die Virginia Falls bietet. Und wer flussabwärts schaut, bekommt einen ersten Vorgeschmack auf die Szenerie der bevorstehenden, einwöchigen Kanutour. Ein erhebendes Gefühl!

Tag 3

Endlich auf dem Wasser! Der Morgen ist noch frisch, aber umso klarer erscheint die Luft. Je weiter man sich von den Virginia Falls entfernt, desto mehr tritt das ohrenbetäubende Tosen des herabfallenden Wassers in den Hintergrund. Stattdessen sind nun die Geräusche des Nahanni zu hören. Das Eintauchen des Paddels in den Fluss. Das ruhige und gleichmäßige Atmen. Beim Eintritt in den Fourth Canyon mit seinen abwechselnd gelben, grauen und rostfarbenen Wänden schlägt das Herz schneller. Gemeinsam mit dem erfahrenen Paddelpartner aus der Crew, der im Heck das Sagen hat und Anweisungen erteilt, wird das Kanu geschickt durch das Wildwasser navigiert. Der Adrenalinschub hält bis zu den Figure Eight Rapids an, bevor in der Nähe der Einmündung des Flat River das Camp errichtet wird und der Tag entspannt ausklingen kann. Die emsigen Paddler schlafen so gut wie seit Monaten nicht mehr.

Tag 4

Manche nennen diesen Teil des Nahanni National Parks den Grand Canyon des Nordens. Macht Sinn. Die Felsformationen links und rechts der Strecke ändern sich mit jeder Biegung des Flusses. Es folgt der Third Canyon, dessen riesige Wände die Kanuten auf dem Wasser wie Zwerge erscheinen lassen. Es fällt schwer, konzentriert auf den Fluss und die Paddelstrecke zu schauen und nicht immer wieder den Blick in die Höhe zu richten. Am The Gate ragen die Wände stolze 460 Meter gen Himmel – ein perfekter Ort, um das Lager für die Nacht aufzuschlagen. Alles hier fühlt sich irgendwie erhaben an. Der Nahanni hat erreicht, dass man sich klein fühlt im Vergleich mit der gewaltigen Natur, und dieser Wechsel der Perspektive ist ein echter Gewinn.

Tag 5

Am Morgen steht eine Wanderung auf dem Programm, die hoch über den Pulpit Rock am The Gate führt. Hier wartet ein berauschender Blick auf die Klippen, die Felsen und den Fluss. Man hat fast das Gefühl, als könne man bis zum Rand der Welt blicken. Oftmals kann man bei dieser Wanderung Bären- oder Elchspuren sichten, die sich unter die Fußabdrücke der menschlichen Besucher mischen. Einige dieser Spuren sind ziemlich frisch. Hinter dem Third Canyon fließt der Nahanni recht schnell, wird dann aber beim Second Canyon wieder langsamer. Selbst nach einem langen und anstrengenden Tag wie diesem kann so mancher das Lächeln nicht wieder abschütteln, das ihm bei der morgendlichen Wanderung ins Gesicht gezaubert wurde.

Tag 6

Heute steht der schwierigste Abschnitt des South Nahanni River auf dem Programm. So manch einer hat die Geschichten von gekenterten Kanus am George’s Riffle im Ohr, die zu rasenden Minuten im eiskalten Wasser führen. Ein wenig Ehrfurcht vor der heutigen Etappe ist also nicht fehl am Platz. Die erfahrensten Paddler der Gruppe sind zuerst an der Reihe. Mit Respekt können die Zurückgebliebenen beobachten, wie schnell ihre Mitstreiter im Wildwasser verschwinden und hinter einer Welle zurückbleiben, bevor sie schließlich wieder auftauchen. Und das immer wieder. Und wieder. Und wieder. Sie haben für den Rest der Truppe eine Durchfahrt erkundet und winken die anderen nun hindurch. Bei so manchem Paddler gewinnt irgendwann der Instinkt die Oberhand, bisher unbekannte Energien und Kräfte werden freigesetzt und ermöglichen es, sich wie ein Messer durch das Wildwasser zu schneiden. Am Ende der Passage hört man Triumphschreie. Und später, im Camp, sind alle zugleich erschöpft, erleichtert und stolz auf sich selbst.

Tag 7

Das Paddeln durch den First Canyon verläuft ruhig und still. Die Gruppe passt sich der Umgebung an. Das Geplänkel und die Scherze auf dem Fluss legen eine Pause ein. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Leise werden die Kanus ans Ufer des Lafferty Creek gezogen, um diesen zu Fuß zu erkunden. Bei der Wanderung durch das Bachbett ist es spannend zu sehen, wie sich der Canyon immer weiter verengt und in manchen Abschnitten nur noch wenige Meter breit ist. Die kühlen, glatten Wände des Canyons fühlen sich fantastisch an, während man durch kaltes, knietiefes Wasser watet. Schließlich wird das Wasser tiefer, die Abenteurer müssen komplett eintauchen und durch ein kleines Becken schwimmen. Ein eiskaltes Erlebnis! Aber schon bald werden sie von der Wärme der Sonne begrüßt und trocknen in wenigen Minuten. Entlang des Bachs gibt es Pfade, die von Wildtieren in den Boden getrampelt wurden. Man kommt an Höhlen vorbei und kraxelt auf Bergrücken, die Einblicke in immer verlockendere Landschaften gewähren. Locker könnte man hier eine ganze Woche verbringen, ohne dass es langweilig wird.

Tag 8

Heute geht es früh los! Nach einer kurzen Paddeltour wartet ein erholsames Bad in den Kraus Hotsprings. Später am Tag lässt die Gruppe die Parkgrenzen hinter sich und erreicht das Ende des South Nahanni Rivers. Der Fluss teilt sich hier und mündet kurz hinter Nahanni Butte in den Liard River. Gerne könnte dieses Abenteuer noch eine ganze Weile weiter gehen. Während man die neu gewonnen Freunde mit ihren schlammverschmierten Gesichtern in den heißen Quellen betrachtet, kommt der Wunsch auf, dass die nächsten 48 Stunden nicht so schnell zu Ende gehen sollten. Wenigstens bleibt noch ein langer Tag auf dem Fluss.

Tag 9

Am Ende der Strecke wird der Horizont langsam flacher. Nach einem Labyrinth von Wasserwegen kommt die Gruppe rechtzeitig zum Mittagessen in Nahanni Butte an. Man hatte ganz vergessen, wie herrlich ein Cheeseburger und eine eiskalte Limonade schmecken können! Jetzt heißt es Good bye South Nahanni River, Good bye Nahanni National Park! Für die meisten bedeutet das aber nur ein »Bis zum nächsten Mal«, denn sie wissen längst, dass sie zurückkommen werden. Am Nachmittag geht es ganz gemütlich auf dem Liard River weiter bis zur letzten Station der Reise, dem Blackstone Territorial Park. Hier kann man anderen Urlaubern nun stolz von seinem Paddelabenteuer auf dem South Nahanni River berichten. Ein Erlebnis fürs Leben, das herausgefordert und nachhaltig verändert hat.

Text: Karin Schreiber, Fotos: Nahanni River Adventures & Canadian River Expeditions/Angela Gzowski

Reiseinfo

Der South Nahanni River entspringt in den Mackenzie Mountains, genauer gesagt am Südhang des Mount Christie in einer Höhe von etwa 1600 Metern. Auf einer Länge von zehn Kilometern bildet er danach die Grenze zwischen den Northwest Territories und dem Yukon Territory. Weitere Stationen: die Selwyn Mountains, die Vampires Peaks Range und der Nahanni National Park, in dem der Fluss den 96 Meter hohen Virginia Falls-Wasserfall hinab braust. Nach etwa 563 Kilometern mündet der South Nahanni River schließlich bei der 115-Einwohner Gemeinde (Stand 2006) Nahanni Butte in den Liard River. Auf dieser Strecke hat er einen Höhenunterschied von etwa 1250 Metern bewältigt.
Anbieter von Paddeltouren auf dem South Nahanni River: Nahanni River Adventures & Canadian River Expeditions, https://nahanni.com. Buchbar in Deutschland bei SK Touristik, www.sktouristik.de.
Weitere Infos über die Northwest Territories: Spectacular Northwest Territories, www.spectacularnwt.de