Als ich das erste Mal mein Land verließ, ging es zum Paddeln auf dem Futaleufú-Fluss in Chile – und diese Reise wurde einer der Höhepunkte meines Lebens. Nur wenige Frauen in Indien paddeln, von internationalen Expeditionen gar nicht zu reden. Auch ich bin normalerweise nicht so offen und selbstbewusst. Aber nachdem ich auf Instagram auf Brooke Hess, eine Wildwasser-Kajakerin aus Missoula in Montana/USA, gestoßen war und ihr zwei Jahre lang folgte, habe ich den Mut aufgebracht, mich bei ihr zu melden. Brooke ist eine fantastische Kajakfahrerin, und obwohl ich lange damit zögerte, ihr zu schreiben, kann ich eines mit Sicherheit sagen: Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
Brooke antwortete nicht nur, sondern nach ein paar Gesprächen war ihr Interesse geweckt – an einer jungen Frau, die eine Pionierrolle spielen könnte für den weiblichen Kajaksport in Indien. Sie wollte mich interviewen und meine Geschichte erzählen. Noch während ich mein Leben für sie zu Papier brachte, schlug sie vor, dass wir zusammen Kajak fahren sollten. Unnötig zu sagen, dass ihre Kajakkünste mich sehr inspirierten. Aber während die Idee an sich schon eine Ehre für mich war, waren die Chancen, dass ich mein Land verlassen konnte, sehr gering.
Reisepläne mit Respekt
Ein paar Monate später erschien meine Geschichte im NRS-Blog Duct Tape Diaries. Eine kürzere Version wurde in Kayak Session abgedruckt, und Brooke schrieb mir erneut. Sie erzählte mir, dass sie mit ihrer Freundin Hailey aus Alaska nach Chile reisen und dass sie sich freuen würde, wenn ich sie begleiten könnte.
Ich fühlte mich geschmeichelt, war aber gleichzeitig ein wenig schockiert – natürlich war ich interessiert, hatte aber keine Ahnung, wie ich eine solche Reise finanzieren sollte. Brooke schlug vor, die Reise bei NRS anzumelden und im Austausch für die Veröffentlichung meiner Erlebnisse um Sponsoring zu bitten. So wie es mich eine Riesenüberwindung gekostet hatte, mich bei Brooke zu melden, so sehr war es für mich Neuland, eine Marke um eine Finanzierung zu bitten. Aber mit Brooke als Mentorin und Kontaktperson gingen wir es an. Und es funktionierte.
Nun war ich auf dem Weg auf die andere Seite der Welt, um mit Fremden zu paddeln – mit Frauen aus völlig anderen Kulturen, mit ganz anderem Background und ganz anderen Erfahrungen. Nun ja, ich hatte Angst. Und einen Heidenrespekt davor, in meinem jungen Alter in ein so großes Abenteuer zu starten.
Ein schwieriger Anfang
Wie gesagt, ich war 13 Jahre alt, als ich mit dem Kajakfahren begann, inspiriert von meinem Onkel Eddy. Meine Familie, vor allem meine Mutter, stand der Idee reichlich skeptisch gegenüber, dass ich einen Sport treiben wollte, der nicht nur wenig bekannt war, sondern auch von Frauen nicht betrieben wurde, zumindest nicht in Indien. Um diesen Sport auszuüben, musste ich näher am Wasser leben, das 300 Kilometer von meinem Dorf entfernt war. Der Gedanke, mich in diesem Alter so weit von zu Hause wegzuschicken, war für meine Familie beängstigend. Zumal es um einen Sport ging, von dem sie keine Ahnung hatten.
In Indien neigen viele Familien dazu, ihre Töchter übermäßig zu behüten. Sie wollen, dass die Mädchen in einer sicheren Umgebung aufwachsen. Mich gehen zu lassen, hat meiner Familie viel Mut abverlangt. Im Laufe der Jahre bin ich viel gereist, meistens allein. Das hat mir nicht nur geholfen, mental stärker zu werden, sondern auch meiner Familie die Kraft gegeben, mich da draußen in der Welt allein zu sehen. Sicher, es gab Probleme, aber alle großen Dinge bringen Herausforderungen mit sich. Die größte Schwierigkeit in meinem Land besteht darin, Vorurteile zu überwinden und patriarchalische Normen zu bekämpfen. Und obwohl noch ein langer Weg vor mir liegt, bin ich mehr als bereit dazu. Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, um meine Eltern von der Chile-Reise zu überzeugen. Schließlich war mein Ziel ein völlig fremdes Land. Aber am Ende waren alle einverstanden, und sie schickten mich los, mit ihrem Segen und mit vielen guten Wünschen.
Den Vorbildern ebenbürtig
Ich hatte keine Ahnung, was vor mir lag. Ständig zweifelte ich an meinen Kajak-Fähigkeiten und unterschätzte mich selbst. Und doch wurde die Vorfreude immer größer, bis ich in der Gemeinde Futaleufú meine beiden Mitstreiterinnen traf. Mit einem strahlenden Lächeln liefen sie auf mich zu. In diesem Moment wusste ich, dass alles gut gehen würde. Der herzliche Empfang und die Wärme, die sie mir am ersten Tag entgegenbrachten, ließen mich eine Geborgenheit fühlen, von der ich nie gedacht hätte, dass sie in einem fremden Land möglich wäre. Und das in der Gesellschaft von zwei knallharten Frauen, die sich darauf vorbereiteten, auf einem der abenteuerlichsten Flüsse der Welt zu paddeln.
Na ja, so lautete zumindest der Plan. Mein erster Tag auf dem Futa war nicht so toll. Ich fühlte mich nicht besonders wohl auf dem Fluss. Mit den berühmten Kajakfahrerinnen mithalten zu wollen, dieser Wunsch zerrte an meinen Nerven, was wiederum mein Paddeln störte. Allein ihre Anwesenheit schüchterte mich ein, und dennoch war die Art und Weise, wie die Mädchen mich in den Futa einführten, außergewöhnlich und beruhigend. Von der Macal-Sektion bis zur White Mile und schließlich auf dem Abschnitt Puente-a-Puente ließen wir es langsam angehen – bis ich mich schließlich stark genug fühlte, um den Futaleufú in vollen Zügen zu genießen.
Ich wurde noch nie von einer anderen Paddlerin unter die Fittiche genommen. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie wichtig weibliche Mentorinnen im Sport sind. In Indien gibt es schlicht keine älteren und erfahrenen Paddlerinnen. Ich hatte das Glück, einen großartigen männlichen Mentor zu haben, zu dem ich aufschauen konnte. Seiner Hingabe habe ich viel zu verdanken. Dennoch ist es für junge Mädchen extrem ermutigend, wenn Frauen im Sport und anderen Lebensbe- reichen sichtbar sind, besonders in einem Land wie Indien.
Ich hoffe, dass es kommende Generationen einfacher haben werden und ich selbst einmal junge Mädchen an die Hand nehmen kann, die ihren eigenen Weg in der Welt gehen wollen. So wie es meine Mentorinnen in Chile für mich getan haben. Nie werde ich vergessen, wie Brooke mir zugejubelt und Hailey mir ihr schönstes Lächeln geschenkt hat, als ich die Mundaca-Stromschnelle gemeistert hatte. Ich konnte ihr Glück spüren, als sie sahen, wie ich beim Kajakfahren meinen Traum verwirklichte. Eines steht jedenfalls fest: Ich habe nicht nur verbesserte Kajak-Fähigkeiten mit nach Hause genommen, sondern auch eine Fülle von Erfahrungen, Liebe, Unterstützung und neu gefundener Stärke, die ich für den Rest meines Lebens behalten werde.
Weitere Infos: https://community.nrs.com/duct-tape/2020/11/15/river-warriors-naina-adhikari/
Erfahrung weitergeben!
Meine Zeit in Chile hat mir gezeigt, wie inspirierend der Kajaksport für junge Mädchen ist – und dass es mir möglich ist, die Kraft dazu weiterzugeben. Während wir in Futa waren, hatten wir die Gelegenheit, mit den Mädchen von »Chicas al Aqua« (https://bit.ly/3GDfvJq) zu paddeln. Dabei handelt es sich um ein Programm, bei dem junge Mädchen über mehrere Wochen hinweg kostenlose Kajak-Workshops, Umweltunterricht und verschiedene andere bereichernde Erlebnisse erhalten.
Das Gefühl, nun selbst Mentorin zu werden, lässt sich nur schwer in Worte fassen. Als ich nach Chile kam, habe ich mich auf zwei Frauen gestützt, die schon vor mir hier waren. Und jetzt leite ich diese jungen »Chicas« in ihrem Heimatland an. Vor Chile hatte ich noch nie einen anderen Paddler durch eine Stromschnelle geführt, und am Ende der Reise führte ich sie durch die größten Stromschnellen auf dem Futaleufú-Abschnitt Puente-a-Puente. Was für ein ermutigendes Gefühl es ist, sich gegenseitig zu unterstützen, aufeinander aufzupassen, sich anzufeuern und gemeinsam zu wachsen!