Deutschland

Hoheits-Gebiet

Der Tegernsee ist berühmt – und auch ein bisschen berüchtigt: als „Lago di Bonzo“, als Spielplatz des Geldadels, als protziger Wohnort von Promis aus Politik, Show und Sport. Doch abseits von überlaufenen Sommerwochenenden kann man hier reizvolle und überraschend ruhige Paddeltouren genießen.

Text: Lars Brinkmann

Endlich raus aus der Blechlawine. Runter vom Urlauber-Highway A8 zwischen München und Salzburg. Abfahrt Holzkirchen, und dann noch ein paar Kilometer weiter nach Süden durch sanft gewelltes, ländliches Voralpenland. Fehlt nur noch das Geläut von Kuhglocken. Die Berge da hinten am Horizont weisen den Weg. Manchmal, vor allem an Wochenenden mit schönem Wetter, gibt es noch einen kleinen Stau an der Kreuzung Kreuzstraße, wo es rechts nach Bad Tölz und links nach Miesbach geht. Dauert aber nicht lang, ist nur die blöde Ampel.

Wir fahren geradeaus weiter, und bald liegt er vor uns, wie hineingegossen in eine Mulde zwischen Voralpen-Geplänkel und richtigen Bergen: der Tegernsee, blau-glitzernd wie eine Verheißung im Sonnenschein, grau und unnahbar wirkend und manchmal ganz schön wellig an windig-bewölkten Herbsttagen. Schon im Ort Gmund, fast am nördlichen Ufer angekommen, wird eine Entscheidung fällig: rechts ab Richtung Westufer und Bad Wiessee oder gerade weiter das Ostufer entlang in Richtung auf die Stadt Tegernsee.

Der Tegernsee – und seine Gemeinden

"Lago di Bonzo" – wenn die Bewohner der Umgebung diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung in den Mund nehmen, ist hierzulande jedem klar, dass der Tegernsee gemeint ist. Dabei gibt es mit dem Starnberger See eine mindestens ebenso mondäne Wohnalternative für Münchens Schickeria, doch Steuersünder Uli Hoeneß hat aktuell eben den Tegernsee in halbseidene Schlagzeilen gebracht. Dabei trägt der See dieses Image nur teilweise zu Recht.

Die Gemeinden an seinem Ufer sind so unterschiedlich, dass man kaum glauben kann, dass sie alle am Ufer des gleichen Sees liegen – der obendrein mit einer Uferlänge von rund 20 Kilometern alles andere als ein Gewässerriese ist (Gesamtfläche 8,9 Quadratkilometer, zum Vergleich: Bodensee 536, Chiemsee 79,9 Quadratkilometer). Die meisten Besucher kommen, wie wir heute, aus nördlicher Richtung und stoßen zunächst auf Gmund. Eine ländliche Gemeinde, fast bäuerlich.

Wer sich geradeaus hält, fährt ein paar Kilometer den See entlang und erreicht dann die Stadt Tegernsee. Hier wird das Flair schon touristischer, durch eine lebhafte Künstlerszene, vor allem aber durch die barocke Klosterkirche und das legendäre Bräustüberl. Noch ein paar Kilometer weiter und man erreicht Rottach-Egern am südlichen Ende des Sees, das sich mit einer ganzen Reihe Nobelgeschäfte an der sehenswerten Uferpromenade am meisten anstrengt, dem "Lago di Bonzo"-Image zu entsprechen – wenn Sie für einen Pulli schon immer mal mehr Geld ausgeben wollten als für ein Smartphone, dann sind Sie hier richtig.

Im Westen ist’s am besten

Wer ein Kajak oder einen Kanadier dabei hat, biegt in Gmund allerdings am besten nach rechts ab. So erreicht man das etwas weniger verbaute Westufer und die Gemeinde Bad Wiessee – nicht gerade eine Offenbarung, was das touristische Angebot betrifft, sondern eher bekannt für die zahlreichen Reha-Kliniken und die Spielbank, die sich hier in traumhaft schöner Bergsee-Atmosphäre niedergelassen haben.

Hier am Westufer, nördlich und vor allem südlich von Bad Wiessee, befinden sich die idyllischsten Uferabschnitte – und auch die Straße rückt dem See abschnittsweise nicht ganz so dicht auf die Pelle wie am anderen Ufer. Im Nordwesten des Sees wartet kurz nach einem grünen Straßenschild mit der Aufschrift "Holz" eine erste Einstiegsmöglichkeit. Ein Parkplatz linkerhand, zwischen Straße und Seeufer, an dem man fast immer ein Plätzchen für seinen Wagen findet (keine Selbstverständlichkeit am dicht besiedelten, hoch frequentierten Tegernsee). Manchmal teilt man sich den Parkplatz mit Tauchern, die sich ihre Flaschen auf den Rücken wuchten, und mit Radlern, die direkt neben der Straße in ihre hautengen Strampelanzüge schlüpfen.

Wie dem auch sei, das Seeufer ist nah. Nur ein paar Meter unter Bäumen, über sanft federnden Waldboden, und man kann sein Boot zu Wasser lassen. Auf kristallklares Wasser mit Trinkwasserqualität – erwähnenswert, da der Tegernsee in den 50er Jahren durch boomhafte Besiedlung und wachsenden Tourismus stark belastet war. Durch die explosionsartige Vermehrung der Burgunderblutalge drohte gar ein Badeverbot.

Doch durch eine hochmoderne Ringkanalisation, damals die erste ihrer Art, und ein ebenso modernes Klärwerk bekamen die Anrainergemeinden das Problem in den Griff. 1965 war der Bau beendet, und wer heute Durst bekommt, kann sich durchaus einen Schluck Tegernsee schmecken lassen. Sogar für die Trinkwasserversorgung der Landeshauptstadt München spielt das Gewässer heute eine wichtige Rolle.

Von hier aus steuert man sein Boot am besten südwärts. Passiert den einen oder anderen Schilfgürtel, wundert sich beim Blick über den Süllrand nach unten in das sonnenglitzernde Wasser, dass man den Seegrund immer noch sehen kann – und tut sich doch schwer dabei, den Blick von der Bergkulisse im Süden abzuwenden: Die ersten Berge sind noch bis obenhin mit Wald bestanden, doch dahinter durchbrechen die kahlen Gipfel des Hochgebirges den Horizont wie ein riesiges Haifischgebiss.

Schon bald liegt rechterhand am Ufer der Ort Bad Wiessee. Doch die lang gezogene Gemeinde stört die Ruhe kaum: Die Bebauung am Ufer ist erstaunlich aufgelockert, und die Hauptstraße verläuft hier ein ganzes Stück entfernt vom See durch den Ortskern. Mit gemächlichen Paddelschlägen geht es weiter. In Abwinkl, südlicher Ortsteil Bad Wiessees, mündet der Söllbach in den See, kristallklar und leise über den Steingrund gurgelnd, wie sich das für einen Gebirgsbach gehört.

Weiter geht es in die Ringseebucht, der stillste, idyllischste Teil der Tour. Der See beult sich hier ein Stück nach Südwesten aus, ein geschützter Teil, der oft auch dann noch ruhig ist, wenn der Wind den Rest des Sees kabbelig werden lässt. Stille Paddelschläge leiten das Boot außen um die Ringseeinsel herum, da die dem Ufer zugewandte Seite unter Naturschutz steht. Die Ruhe in sich aufsaugen, und weiter durch die kleine Seebeule, bis zur Mündung der Weißach, des bei Hochwasser beeindruckenden Zulaufs in den Tegernsee.

Man befindet sich nun auf dem "Hoheitsgebiet" von Rottach-Egern – und hat mit einem Parkplatz an der Popperwiese am Ende des Weißachdammes ebenfalls eine Einstiegsstelle zur Verfügung. Nun folgt mit dem Auto schlecht erreichbares Seeufer, bevor es an der Ganghoferstraße in Rottach-Egern wieder direkten Seezugang gibt. Die Rottacher Bucht im Südosten kann man sich sparen (es sei denn, man will die Flaniermeile aus sicherem Abstand beobachten) und stattdessen zum Großen Paraplui queren.

Die Paddelschläge können nun durchaus zügiger ausfallen, denn zwischen hier und Tegernsee, in Höhe des Tegernseer Yacht-Clubs, belästigt die dicht befahrene Straße den See bis fast ans Ufer. Außerdem ist Stärkung in Sicht: Das Bräustüberl in Tegernsee lockt mit deftiger bayerischer Kost und lokalen Bieren vom Fass. Wobei das Wort "Stüberl" ein Euphemismus ist für die hallengroßen Räumlichkeiten, in denen Gläser aneinander klirren, Schafkopf-Karten auf grobe Holztische knallen und der fettige Geruch von Schweinshaxe aus der Küche wabert. So richtig gemütlich halt.

Und je nachdem, wie schwer das Schwein im Magen liegt, gestaltet sich der Rest der Tour: Wenn’s nicht so schlimm ist, einfach dem Seeufer weiter folgen und damit die Rundstrecke mit dem Besuch des einzigen Seeauslaufs, der Mangfall in Gmund, komplettieren, bis man wieder auf den Parkplatz stößt. Sind aber noch ein paar Kilometer.

Achtung dabei: südlich von Gmund das Naturschutzgebiet bei Seeglas umpaddeln, das wie bei der Ringseeinsel durch gelbe Tonnen markiert ist. Oder den See zurück nach Bad Wiessee queren und ein kurzes Stück mittlerweile bekannte Strecke zurück zum Auto.

To Do-Liste

Bräustüberl: Eigentlich ein "Muss" für Tegernsee-Reisende: deftige bayerische Kost und süffige Biere, untermalt mit lautstarkem Dialekt und Gläserklirren. Die barocke Klosterkirche schaffen Sie danach auch noch. Oder besser davor. Im Sommer: draußen sitzen! Infos: www.braustuberl.de

Haus Göttfried: Wem das Bräustüberl zu touristisch ist, der kann in einem Geheimtipp essen. Deftig bayerisch getafelt wird auch im Haus Göttfried in Kreuth, gelegen südlich des Sees, aber auf dem Parkplatz sieht man deutlich weniger auswärtige Kennzeichen. Vegetarier probieren den Kaiserschmarrn – der ist hier legendär. Infos: www.hausgoettfried.de

Bergwandern: Ja, schon klar, Sie sind zum Paddeln hergekommen. Aber vielleicht passt eine kleine Bergwanderung auch noch in Ihr Wochenende. Zum Beispiel von Bad Wiessee aus entlang des Söllbachs und dann rechts rauf zur Aueralm. Eine für normal trainierte Paddler zweistündige Bergwanderung mit Traumpanorama. Infos: www.aueralm.de

Waldfeste: Prinzip Volksfest, aber noch uriger. Bierbänke und Tische, Wurstbuden und Zuckerwattestände, Schießstände, Blasmusik und Schuhplattler, manchmal im Wald, manchmal auf grüner Wiese. Die Bewohner des Tegernseer Tals holen ihre Lederhosen und Dirndl aus dem Schrank (wobei sie manchmal ganz schön lange suchen müssen) und hauen kräftig auf den Putz. Tipp: Lange Lederhosen outen Sie als Greenhorn. Termine unter www.tegernsee.com

Der Aqua Dom: ein Pavillon mit großen Aquarien voll mit heimischen Fischen, gelegen direkt an der Mündung des Söllbachs. Nach deren Betrachtung kann sich der Paddler dann getrost die Eskimorolle für mehr Fischanblick sparen. Und bei der Gelegenheit kann man sich im Fischerei-Bistro nebenan etwas von den Artgenossen der Exponate auf dem Gaumen zergehen lassen. Infos: www.fischerei-tegernsee.com

Tacheles

Wer ungestörten Naturgenuss à la Kanada oder Skandinavien erwartet, der ist am dicht besiedelten Tegernsee fehl am Platz. Eine attraktive Tagestour mit gemütlichen Paddelkilometern und sagenhaftem Panorama – das bietet der See, nicht mehr und nicht weniger. Und noch etwas: Vorsicht mit den dicken Pötten der Seeschifffahrt! Diese haben grundsätzlich Vorfahrt – und sind auch eine Alternative für die Seeumrundung bei zu viel Wind und hohen Wellen, was bei Föhnstürmen mit warmen aber sehr starken Winden durchaus vorkommen kann.

Tegernsee-Reiseinfo

Tegernsee in Zahlen: Seehöhe 726 Meter, Länge rund sieben Kilometer, Breite bis knapp zwei Kilometer, maximale Tiefe 72 Meter, Küstenlänge rund 21 Kilometer.

Anreise: über die Autobahn A8 von München nach Salzburg, Abfahrt Holzkirchen direkt nach der gleichnamigen Raststätte. Danach weiter über die B318 bis Gmund. Von hier weiter geradeaus (B307) Richtung Ostufer und Tegernsee oder rechts ab weiter auf der B318 Richtung Westufer und Bad Wiessee. Beide Straße führen nach Rottach-Egern am Südufer.

Übernachtung: Hotels und Pensionen gibt es am Tegernsee wie Sand am Meer. Wer etwas sucht, kann durchaus ein Schnäppchen machen. Umfangreiche Möglichkeiten finden sich unter www.tegernsee.com Wer sein Zelt aufstellen will, hat nur eine Alternative: Campingplatz Wallberg, Rainerweg 10, 83700 Weißach, www.campingplatz-wallberg.de. Der Campingplatz liegt nicht direkt am See, aber nicht weit von der Einstiegsstelle am Ende des Weißachdamms entfernt.

Einstiege: zum Beispiel am Parkplatz "Holz", direkt an der B318 am Nordwestufer. Oder in Rottach-Egern am Weißbachdamm (Parkplatz vor dem Badestrand Popperwiese).

Kanuverleih: Marina Tegernsee, Hauptstraße 39, 83684 Tegernsee, www.marina-tegernsee.de; Bootsverleih Malerwinkel, Seestraße 40a, 83700 Rottach-Egern (nur Standup Paddle, www.bootsverleih-malerwinkel.de)

Allgemeine Reiseinfo: www.tegernsee.com