Deutschland

Bodensee

Nach ein paar Stunden Autofahrt durch die Bruthitze des deutschen Sommers 2018 dreht sich der Autoschlüssel nach links. Angekommen! Motor und Fahrer seufzen erleichtert. Ein Schluck aus der Flasche mit dem lauwarmen Eistee. Eine angewiderte Grimasse, da dieser seinen Namen nicht mehr verdient. Dann runter mit dem Kajak vom Autodach, direkt am Campingplatz in Allensbach und nur ein rundes Dutzend Schritte vom Einstieg und von der Unterkunft entfernt. Eine beachtliche Wasserfläche schimmert da im strahlenden Sonnenschein in verlockenden Blau- und Türkistönen. Durchaus ausreichend für eine gemütliche Tagestour mit ein paar Pausen und etwas Sightseeing. Und doch: Dies ist »nur« der Gnadensee, und damit ein kleiner Teil des Untersees, der wiederum »nur« der südwestliche Ausläufer des Bodensees ist, des Giganten unter den deutschen Seen. Nur ganz wenige Zahlen (versprochen!), um die Größenverhältnisse zu verdeutlichen: Die Fläche des Gnadensees beträgt 13 Quadratkilometer, der gesamte Untersee mit seinen weiteren Teilen Rheinsee, Zeller See und Markelfinger Winkel bedeckt 62, und der gesamte Bodensee umfasst über 530 Quadratkilometer.

Eindeutig also, wer hier das Schwergewicht ist. Doch eines wurde schon bei einem Blick auf die Karte und in den einen oder anderen Kanuten-Reiseführer klar: Der Untersee bietet allein genug Tour-Alternativen für eine mehrtägige Paddelreise. Und dabei reden wir (noch) gar nicht vom Hochrhein, der bei der Insel Werd den Untersee verlässt und sich auf seine lange Reise Richtung Nordsee begibt. Und für viele die schönsten Paddeltouren der Gegend bietet.

Vom Gnadensee nach Konstanz

Wir werden sehen. Später. Erstmal platschen die Füße ins kiesige Wasser des Gnadensee-Ufers und der Hintern auf den Kajaksitz. Erste Entscheidung von heute: nach links und ostwärts wenden und am Festland entlang paddeln und damit schon recht bald am Naturschutzgebiet Wollmatinger Ried entlang, das etwa bei der Ortschaft Hegne beginnt? Oder Querung zur Insel Reichenau und dort nach links wenden, bis zu dem Damm, der die Insel mit dem Festland verbindet? Auch wenn Querungen nicht gerade zu den Highlights des Paddelerlebens zählen, fällt die Wahl auf letzteres – die gegenüber liegende Insel Reichenau sieht einfach zu verlockend aus, mit ihrem lockeren Baumbestand, den Kirchtürmen, die daraus hervorragen, und ihrem schilfbestandenen Ufer. Während der Querung geht immer wieder der Blick nach rechts auf die Hegauer Kegelberge, Schlote von längst erloschenen Vulkanen.

Der Inhalt der im Gepäcknetz befestigten Flasche entfernt sich währenddessen immer weiter von seinem ehemaligen Status als Eistee. Macht nichts, der kurze Trip über die Wasseroberfläche lohnt sich: Das Ufer der Insel Reichenau erreichen wir direkt unterhalb der Kirche St. Georg in Oberzell – Teil des Weltkulturerbes Reichenau und seit ihrer Erbauung im Jahr 888 nahezu unverändert. Aussteigen und besichtigen lohnt sich!

Durch das Nadelöhr

Weiter geht es Richtung Osten, entlang des Schilf bestandenen Ufers – und vorbei an einer vor Anker liegenden Klein-Motoryacht, deren Besitzer sich splitternackt ein Glas Weißwein munden lassen. Eine solche „Sehenswürdigkeit“ begegnet uns auf der heutigen Strecke noch öfter. Vielleicht eine Art „savoir vivre“ der Bodensee-Schickeria. Wer weiß? Egal, wenn’s Spaß macht …

Mittlerweile halten die Augen Ausschau nach dem Bruckgraben, einem schmalen Kanal durch den mit Pappeln bestandenen Damm, der die Insel Reichenau mit dem Festland verbindet und der uns nun im Weg liegt. Doch alle Befürchtungen, dass man die Einfahrt in den schmalen Wasserweg übersehen könnte, erweisen sich als unbegründet. Rot-weiße Seezeichen kennzeichnen die Stelle deutlich, und eine kleine Brücke über den Minikanal macht ebenfalls klar: Hier geht’s durch den Damm und weiter Richtung Konstanz. Dennoch der Hinweis: Die Einfahrt liegt in der Nähe der Insel, nicht beim Festland.

Nach dem Passieren des kleinen Kanals liegt links der Großteil des Naturschutzgebiets Wollmatinger Ried. Rotweiße Betonblöcke mit grünweißem Naturschutzgebiet-Schild drauf verraten allen Bootfahrern überdeutlich: bis hierher und nicht weiter! Vor allem in den Wintermonaten haben dieser Schilfstreifen und das flache Wasser davor eine immense Bedeutung als Rastplatz für Zugvögel. Und wer sich diesen Tieren, die auf ihrer Flucht vor dem nordischen Winter enorme Strapazen hinter sich haben, über Gebühr nähert, verhagelt ihnen die dringend notwendige Pause und nötigt ihnen weiteren Energieverbrauch ab – mit teils lebensbedrohlichen Folgen. Umso unverständlicher, dass es immer wieder Bootsfahrer (auch Paddler!) gibt, die die auffälligen Grenztonnen ignorieren. Wir müssen leider draußen bleiben – das kann auch mal für Menschen gelten.

Allerdings bedeuten viele Vögel auch: viel Vogelscheiße. Und die wird von der leichten Strömung des Rheins gegen den Damm gedrückt. Also paddelt man nach dem Passieren des Bruckgrabens etwa 200 Meter durch eine unappetitliche, mit Federn gesprenkelte Brühe. Aber was soll’s, Natur besteht nicht nur aus Postkartenansichten und duftenden Rosenblüten. Außerdem klart das Wasser bald wieder auf, und jenseits des Streifens mit der Vogelgrütze ist es heute gesprenkelt mit weißen Tupfern. Schwäne, es müssen hunderte sein. Ach was, unzählige. Wer außerhalb der rot-weißen Tonnen bleibt, der hält automatisch ausreichenden Abstand zu ihren Brutplätzen und Nestern ein – und hat auch vor den sonst gern mal aggressiv auftretenden Elterntieren wenig zu befürchten.

Der Fluss drückt von vorne

Gegen Ende des Naturschutzgebiets wird das Wasser teilweise sehr flach. Etwas Abstand halten zum Ufer, dann geht’s. Langsam verengt sich das Gewässer zum Seerhein hin, der Verbindung von Unter- und Obersee. Ein bisschen Strömung kommt auf und erinnert daran, dass es ein Fluss ist, der hier durchfließt – und leider von vorne gegen das Kajak drückt. Wer es nicht in den Armen spürt, sieht es an den Pflanzen im flachen Wasser, die von der Strömung in Richtung Gnadensee gedrückt werden.

Bei der Einfahrt in den Seerhein liegt rechts zunächst ein kleiner Yachthafen und dann der Schweizer Ort Gottlieben mit dem gleichnamigen Schloss. Ein malerischer Flecken Erde, der mit seinen Uferrestaurants daran erinnert, dass der Eistee im Gepäcknetz mittlerweile komplett ungenießbar geworden ist. Doch der trockene Gaumen muss noch etwas warten. Es folgt noch ein guter Kilometer genussvolles Paddeln durch den Seerhein (Achtung: erhöhtes Schiffsaufkommen, außerhalb der Fahrwassermarkierungen halten!), bis bei einem markanten Betonblock an der linken Seite der Ausstieg für heute erreicht ist – gelegen kurz nach dem Ende des Naturschutzgebiets, in etwa bei den ersten Häusern auf dieser Uferseite, in Sichtweite, aber noch vor der Autobrücke über den Seerhein. Von hier führt ein Trampelpfad wenige Meter landeinwärts zu einem Weg, dem man dann rechts entlang des Ufers folgt bis zum Biergarten „Die Bleiche“ – und hier ist dann jeder lauwarme Eistee vergessen. Versprochen.

Naturschutz und Kanusport

Im Biergarten treffen wir Kai König, Gründer und Inhaber von La Canoa, Paddlershop, Kanuschule und Bootsvermieter, alles in einem. Und zwar in großem Maßstab: Rund um den Bodensee unterhält La Canoa 24 Bootsverleih-Stationen, hat insgesamt rund 300 Kajaks und Canadier im Einsatz. „In unseren großen Teamcanadiern können wir bis zu neun Schulklassen gleichzeitig betreuen. Kein Problem, das verläuft sich total“, sagt König stolz. Praktisches, innovatives Angebot für seine Bootsmieter: Man kann sein Paddelgefährt an einer Station anmieten und an einer anderen wieder abgeben, um dann mit dem gut ausgebauten Verkehrsnetz rund um den Bodensee zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Ein ähnliches Prinzip wie bei großen Autovermietungen, und hier wie dort mit enormem logistischem Aufwand verbunden.

Und auch wenn La Canoa mittlerweile der größte Paddelfisch am gesamten Bodensee ist, hat König seine Liebe zum »kleinen« Ausläufer Untersee nicht verloren. Hier ist alles viel »kleinräumiger«, sagt er: »Es gibt völlig unterschiedliche Bereiche, sehr viel Natur und mit dem Wollmatinger Ried ein einzigartiges Vogelschutzgebiet.« Zudem gingen Naturschutz und Kanusport am Untersee sehr harmonisch miteinander um. »Das geht aber nur, wenn man sich an die Schutzgebiete hält«, betont er.

Weiter geht es Richtung Hochrhein: Die ganze Reportage können Sie in KANU 5/2018 nachlesen. Nachzubestellen unter: https://shop.interabo.de/kanumagazin/category/einzelhefte.html

Reiseinfo

Anreise: Wer nicht aus dem Südwesten der Republik anreist, hat die Qual der Wahl: Entweder er reist über Stuttgart an und fährt über die A81 und später über die B33 an den Untersee. Oder man nimmt längere Landstraßen-Strecken in Kauf und fährt etwa ab Ulm durch die sanft-hügelige Landschaft Schwabens über Stockach und Radolfzell an den Untersee. Kann Spaß machen an einem Wochenende ohne Lkws. Wenn die Straße voller Brummis ist, eher nicht.

Unterkunft: Möglichkeiten zum Übernachten gibt es rund um den Untersee ohne Ende, vom Campingplatz bis zum luxuriösen Hotel. Im Rahmen der Recherchereise zu dieser Reportage haben wir zwei Unterkünfte in Anspruch genommen: in Allensbach am Gnadensee den Campingplatz Allensbach, Strandweg 30, 78476 Allensbach, www.campingamsee.com. Der Platz liegt direkt am See und verfügt neben Zelt- und Wohnwagenplätzen über feste Unterkünfte, sogenannte Pfahlbauten. Die sind allerdings mit rund 80,- Euro pro Nacht ein etwas teurer Spaß und bei Maximalbelegung mit vier Personen auch ziemlich eng. Also lieber ein Zelt mitbringen.

In Wangen fiel die Wahl auf das Hotel Residenz Seeterrasse Wangen, eine komfortable Unterkunft direkt am See und nur einen Steinwurf entfernt vom Bootsstüble Wangen. Adresse und Infos: Seeweg 2, 78337 Öhningen-Wangen, www.residenz-seeterrasse.com. Oder man schlüpft sehr urig direkt im Zirkuswagen oder Baumhaus des Bootsstüble Wangen unter: Grundpreis Zirkuswagen 40,- Euro (plus zehn Euro pro Person), Grundpreis Baumhaus 50,- Euro (plus zehn Euro pro Person). Kontaktdetails: siehe Bootsverleih.

Paddeln: Das Paddeln am Untersee ist ein grenzüberschreitendes Vergnügen – man sollte also einen Ausweis mitführen. Im Hochrhein ist das Paddeln vom Stein am See bis Rheinklingen vom 1. Oktober bis 31. März verboten, auf flachen Kies- und Sandbänken, bei Schilfzonen und über unter Wasser liegenden Krautschichten weiter bis 31. Mai. Im Untersee gibt es drei bedeutende Naturschutzgebiete. Da ist zum einen das Wollmatinger Ried, 767 Hektar groß und eines der ältesten Schutzgebiete am deutschen Seeufer. Vor allem in den Wintermonaten hat es mit seinem bis zu 500 Meter breiten Schilfstreifen große Bedeutung als Rastplatz für Zugvögel. Die anderen beiden Naturschutzgebiete: Halbinsel Mettnau und Radolfzeller Aach. Bei allen dreien gilt: unbedingt respektieren und außerhalb dieser deutlich gekennzeichneten Bereiche bleiben!

Bootsverleih: La Canoa aus Konstanz bietet 24 Verleihstationen rund um den gesamten Bodensee an – mitsamt der Möglichkeit, Kajak oder Canadier an einer Station zu mieten und an einer anderen wieder abzugeben. Geführte Touren finden sich ebenfalls im Angebot, auch für Schulklassen und Business-Events. Adresse der Zentrale und weitere Infos: La Canoa, Robert-Bosch-Straße 4, 78467 Konstanz, www.lacanoa.com (die einzelnen Verleihstationen: www.lacanoa.com/kanuvermietung/).

Auch beim Bootsstüble in Wangen kann man ein Boot mieten oder an einer geführten Tour teilnehmen, in erster Linie in den Hochrhein und entlang der Halbinsel Höri. Viele der geführten Touren widmen sich einem bestimmten Thema. Adresse und Infos: Bootsstüble Wangen, Seeweg 13, 78337 Öhningen Wangen, www.bootsstueble-wangen.de.

Konstanzer Kanumesse: Vom 16. bis zum 17. März 2019 veranstaltet La Canoa im KanuZentrum Konstanz (Robert-Bosch-Straße 4b) die Konstanzer Kanumesse – schon die 16. Auflage dieser einzigen Paddlermesse für Endverbraucher.

Weitere Infos: www.kanumesse.com.Weitere Infos: REGIO Konstanz-Bodensee-Heuau e.V., www.bodenseewest.eu

Buchtipp: Björn Nehrhoff von Holderberg, »Outdoor Kompass Bodensee«, 240 Seiten, Thomas Kettler Verlag, ISBN 978-3-934014-26-8