Europa Reise

Spielplatz aus Stein

Die Åland-Inseln: ein Archipel aus rotem Granit, mitten in der Ostsee zwischen Finnland und Schweden – hört sich nach einem Revier für echte Kajak-Seebären an. Geht aber auch weniger raubeinig, wenn man im Inneren der Schärengärten bleibt (Text: Samira Kassel).

Samira Kassel

Kein guter Anfang auf den Åland-Inseln. Null Chance, meint Gerd. »Hier kommen wir mit unseren Luftbooten nicht weiter.« Missmutig verziehe ich das Gesicht. Na toll, da sind wir endlich on Tour, und dann ist schon nach zwei Stunden der erste Zwangsstopp angesagt. »Wollen wir nicht doch lieber wieder ins Innere der Schärenwelt zurück?«, frage ich Gerd. »Es ist doch gerade mal halb zwei, und wir sind noch gar nicht weit gekommen.« Sein Gegenvorschlag: erstmal Essenspause im Windschatten der Felsnase, danach weitersehen. Soll mir Recht sein – die Aussicht auf ein stärkendes Picknick bringt wieder etwas Schwung in meine Laune. Als wir dann auch noch einen wunderbaren Pausenplatz auf einer weitläufigen Granitplatte entdecken, spielen Zeit und Strecke keine Rolle mehr. Schließlich gibt es hier schon auf kleinem Raum unglaublich viel zu entdecken.

Ein riesiger Outdoor-Spielplatz

Groß ist das Gebiet der Åland-Inseln im Vergleich zu manch anderen Ländern oder Inselgruppen nicht. Und doch bietet dieser Ostsee-Archipel, der zu Finnland gehört, aber schwedische Kultur und Sprache pflegt, eine ganz eigene Welt. Über 6500 Inseln erstrecken sich auf einer Fläche von rund 1500 Quadratkilometern. Davon sind nur knapp über 60 bewohnt – ein wahres Paradies für Gepäcktourenpaddler. Wer nun meint, eine mehrtägige Gepäcktour auf den Åland-Inseln sei nur für erfahrene Seekajakpaddler möglich, unterschätzt die Vielfalt dieser Inselwelt. Der äußere Schärengürtel ist in der Tat nur für Paddler mit wind- und wellentauglichen Booten, viel Erfahrung und guter Ausdauer zu empfehlen. Es gibt jedoch auch zahlreiche Passagen innerhalb der Hauptinseln, die Seencharakter haben, aber landschaftlich auch sehr reizvoll sind. Ein besonderes Merkmal der Ålands sind die roten Granitfelsen, welche die Grundlage für alles Leben auf den Inseln bilden.
Bereits zum dritten Mal bin ich hier zum Paddeln und Segeln. Und jedes Mal bin ich wieder fasziniert von dieser Inselwelt, die ich gerne als »riesigen Outdoor-Spielplatz« bezeichne.

Unerwartete Gefahren

Heute bin ich gemeinsam mit Gerd und unseren Hündinnen Fly und Eywa unterwegs. Wir paddeln in zwei geräumigen und kippstabilen Schlauchkajaks. Diese sind zwar relativ windanfällig, bieten aber viel Stauraum, Platz für die Hunde und geringe Kentergefahr. Dafür müssen wir stets wachsam sein und die Windvorhersage im Auge behalten, um vor unangenehmen Überraschungen geschützt zu sein.
Nun sitzen wir also zweieinhalb Stunden nach unserem Start am späten Vormittag auf einem großem Felsplateau, essen Vollkornbrot mit Käse und beratschlagen, wie wir weiter vorgehen wollen. Entgegen des Wetterberichts donnern noch immer große Wellenberge gegen die Nordostküste, wohl ein Überbleibsel des Sturms der vergangenen Tage. So können wir unseren Plan, auf der nördlichen Außenseite der Hauptinsel gen Osten zu ziehen, heute noch nicht verwirklichen. Aber das stört uns nicht. Nach einem kurzen Rundgang stellen wir fest, dass wir bereits auf dem Outdoor-Spielplatz angekommen sind: warme, glatte Granifelsen unter den nackten Füssen, Ausblick auf eine riesige, blaue Wasserfläche, skurrile, knorrige Bäume, große Felsbrocken und weit und breit keine Menschenseele.
»Lass’ uns hier das Lager aufbauen, und dann erkunden wir die Umgebung«, schlage ich vor und beginne eifrig, mein Kajak auszuladen. Gerd sucht bereits nach einem geeigneten Platz für das Zelt. Währenddessen erkunden unsere Hunde die Umgebung. Besonders angetan hat es ihnen ein Geröllhaufen aus großen Kieselsteinen am Rande der Felsplatte. Schnuppernd springen Sie von Stein zu Stein. »Was da wohl ist?«, frage ich und folge den beiden. Plötzlich zuckt vor mir ein schmaler, langer Schatten und verschwindet blitzschnell zwischen den Steinen. Erschrocken springe ich zurück. Eine Kreuzotter, giftig für Menschen, tödlich für Hunde! Im Reiseführer habe ich bereits von ihrer Existenz auf Åland gelesen, sie mittlerweile aber schon wieder vergessen. Oder, besser gesagt, verdrängt. Ich hasse Schlangen. Scharf rufe ich die Hunde zurück. Alarmiert durch meinen Tonfall folgen die beiden sofort.

Verwunschene Süßwasser-Reserven

Nach diesem Schreck lassen wir die Hunde keine Sekunde mehr aus den Augen. Doch sie machen keine Anstalten, zu dem Geröllfeld zurück zu kehren. Stattdessen tollen sie verspielt über die großen Felsplatten, während wir damit beschäftigt sind, uns ein gemütliches Lager in der Nähe einer schief gewachsenen Kiefer zu bauen. Auf den Åland-Inseln empfiehlt es sich, ein Geodät-Zelt zu benutzen, da dieses auch ohne Heringe sauber steht. Auf dem steinharten Granit sind Heringe in der Regel überflüssiges Gepäck. Stattdessen sichern wir unser Zelt mit Leinen, die wir um dicke Steine wickeln. Nachdem alles stabil und gemütlich eingerichtet ist, können wir uns Gedanken über die weitere Nachmittagsbeschäftigung machen. Gerd bastelt an seiner faltbaren Solarstation herum, mit der er unterwegs sein Tablet und die Akkus seiner Kameras lädt. So bleibt das Outdooroffice jederzeit intakt. Ich hingegen mache mich auf die Suche nach dem Süßwassersee, der in meiner Karte verzeichnet ist. Laut Google Maps soll das Gewässer keine 500 Meter entfernt sein. Im Vorfeld der Tour haben wir uns viele Gedanken über die Wasserversorgung gemacht. Schließlich ist das Ostseewasser salzig und lässt sich bestenfalls zum Kochen von Nudeln verwenden, aber nicht als Trinkwasser für Mensch und Hund. Einkaufsmöglichkeiten gibt es in den Außenschären auch nicht. Man muss sich also vorher gut überlegt versorgen. Ein Süßwassersee stellt auf solchen Touren eine wertvolle Ressource dar, nicht nur zum Trinken oder Kochen, auch zum Waschen. Also schnappe mir mein Handtuch und ziehe mit den Hunden im Schlepptau los. Keine zehn Minuten später sehe ich eine blaugrüne Wasserfläche durch die Bäume glitzern. Tatsächlich, ein See! Und in welcher Idylle er da liegt: flach abfallende Felsplatten säumen das Ufer, schräg gewachsene Kiefern spiegeln sich im Wasser, Seerosen wiegen sich hin und her. Ein leichter Windhauch kräuselt die Oberfläche. Das Wasser ist nur knapp über einen halben Meter tief und von grünen Gewächsen durchzogen. 20 Minuten später sind wir mehr oder weniger frisch gewaschen und mit knurrenden Mägen zurück beim Lager. »Zeit fürs Abendessen«, teile ich Gerd mit und hantiere bereits mit dem Trangia-Sturmkocher.

Verloren im Detail

Wir haben es nicht eilig hier auf den Åland-Inseln. Wir haben kein festes Ziel, wie das beim Flusswandern oft der Fall ist. Nur eine vage Vorstellung von der Richtung beziehungsweise der Insel- und Küstenregion, die wir erkunden wollen – und ganz viel Zeit für die kleinen und großen Details. Keine Insel gleicht der anderen. Mal besteht das Ufer aus flach abfallenden Felsplatten mit kleinen Kiefern darauf, kurz hinter der nächsten Ecke sieht man sich steil aufragenden, roten Felswänden gegenüber. Besonders faszinierend ist, dass sich in jeder noch so kleinen Ritze über die Jahre hinweg Humus abgesetzt hat, der nun den Nährboden für Blumen, Gräser und Bäume darstellt. Die Åland-Inseln haben sich erst vor 13.000 Jahren, gegen Ende der letzten Eiszeit in Europa, aus dem Wasser gehoben und steigen noch immer etwa einen Zentimeter pro Jahr an. Je länger die einzelnen Inseln bereits aus dem Wasser ragen, umso stärker ist ihr Bewuchs.
Mittlerweile sind zwei Stunden vergangen, seitdem wir heute Vormittag wieder mit allem Sack und Pack losgezogen sind. Seitdem sind wir höchstens fünf Kilometer vorangekommen, weil wir in jede kleine Bucht hinein paddeln, fotografieren, filmen und, wenn es sein muss, auch noch drei Mal im Kreis fahren, um zu guten Aufnahmen zu kommen.
Völlig vertieft in das Erkunden der unterschiedlichen Kulissen und das Sammeln von Eindrücken, verlieren wir jegliches Zeitgefühl. Erst als unsere Mägen laut knurren, merken wir, wie die Stunden dahingeflossen sind. Zeit für eine Pause. »Aber bitte mit Schwimmgelegenheit«, wünsche ich mir. »Kein Problem«, antwortet Gerd, »habe da vorne schon was im Auge.«

Vom Winde verweht

Nach einem erfrischenden Bad in den leicht salzigen Fluten der Ostsee rubble ich mich gerade ab, als Gerd alarmiert feststellt: »Der Wind nimmt zu, und die Wellen werden höher. Wir müssen uns beeilen mit dem Essen.« Für unsere Mittagspause haben wir in einer schönen Bucht angelandet, die aber genau zur Windrichtung zeigt. Vor einer Viertelstunde sah das alles noch ganz harmlos und nach einem perfekten Pausenplatz aus. Doch jetzt drohen die heranrollenden Brandungswellen unsere halb im Wasser liegenden Kajaks zu fluten. Nicht mehr lange, und die Wellen dürften so hoch werden, dass wir nicht mehr aus der Bucht heraus gegen sie anpaddeln können. In Windeseile schmiere ich uns einige Brote, während Gerd mit kritischem und sorgenvollem Gesicht unsere Boote im Block behält. Eywa und Fly tollen unterdessen vergnügt über die Felsen. Doch als Gerd mich drängt: »Iss’ schneller, wir müssen hier weg!«, werden auch sie aufmerksam. Fragend sehen sie uns an. Schnell stopfen wir uns die letzten Kanten Brot in den Mund, dann nichts wie weg. Gerd, der ein breiteres und windanfälligeres Kajak fährt, braucht zum Ablegen meine Hilfe, damit sein Luftschiff nicht querschlägt. Zum Glück ist es nach wie vor sehr warm, so dass mir das bis hoch ins Gesicht spritzende Wasser nichts ausmacht. Ich gebe Gerd und Fly, die eine Bootsbesatzung bilden, einen kräftigen Schubs, dann müssen sie alleine zusehen, dass sie Raum gewinnen. Gerd paddelt volle Pulle rückwärts und ist schnell aus der Gefahrenzone heraus. Nun müssen Eywa und ich hinterher. Dank unserer Beweglichkeit fällt uns das nicht sonderlich schwer. Mit angemessenem Sicherheitsabstand zum Ufer werden wir wieder entspannter und verfallen in einen gleichmäßigen Paddelrhytmus. »Da sieht man mal wieder, dass man immer hellwach sein muss«, meint Gerd nachdenklich. »Ja, es ist eben kein Baggersee-Paddeln hier. Da braucht man schon etwas Erfahrung und Routine«, gebe ich ihm stirnrunzelnd Recht. Wir werfen noch einen Blick auf die Karte, um uns zu orientieren, dann düsen wir nach diesem kleinen Abenteuer gut gelaunt mit dem Wind zur nächsten Insel. Dort wollen wir uns im Wind- und Wellenschatten einen Lagerplatz für die kommende Nacht suchen.

Åland-Inseln – Reiseinfo

Anreise: Die Fährüberfahrt vom schwedischen Kappelskär nach Mariehamn auf den Åland-Inseln dauert etwa zwei Stunden. Die Autoren sind von Grisslehamn aus nach Eckerö gefahren, Fahrzeit eine Stunde, 45 Minuten. Dabei sollte man beachten, dass die Uhren auf Åland im Sommer zwei Stunden vorgestellt werden.

Unterkunft: Gute Startpositionen für Tages- und Mehrtagestouren per Kanu sind die folgenden drei Campingplätze bzw. Campingwiesen:
· Overnight Campground, 15 490, 22340 Åland-Inseln (Campingwiese)
· Degersand Resort, 311 Degersandsvägen, Eckerö, 22340 Åland-Inseln, degersand.ax/de/
· Käringsunds Camping, 201 Störby Öjväg, Eckerö, 22340 Åland-Inseln, visitaland.com/de/camping/

Voraussetzungen: Prinzipiell kann man auf den Åland-Inseln mit den verschiedensten Kajaks oder Canadiern paddeln, man sollte sich jedoch gezielt die jeweils geeigneten Einsatz-Orte aussuchen. In den inneren Bereichen der Schären ist das Paddeln mit Canadiern, Schlauchkajaks u. ä. problemlos möglich, wenn Wind- und Wetterlage passen. In die Außenschären sollte man sich dagegen nur mit See- bzw. Tourenkajaks und ausreichender Erfahrung wagen.

Einkaufen: Einkaufsmöglichkeiten sind auf den Inseln rar gesät. Große Supermärkte befinden sich in den Orten Godby, Mariehamn und Eckerö. Daneben gibt es in einigen Ortschaften kleine »Landhandel«, vergleichbar mit deutschen Dorfläden. Insgesamt sind Lebensmittel und Sprit deutlich teurer als auf dem Festland. Gezahlt wird in Euro, entweder bar oder mit Karte. Gesprochen wird Schwedisch oder Finnisch und, wenn man Glück hat, auch Englisch.

Weitere Infos: visitaland.com/de/