Paddeltechnik

Seekajak Workshop I

Sie können paddeln? Beherrschen Wildbäche oder haben schon längere Touren absolviert? Dann ist die hohe Schule des Seekajakfahrens der richtige Schritt, um ein kompletter Paddler zu werden, ein Meister aller Klassen. Der legendäre Nigel Foster erklärt in seinem siebenteiligen Workshop die wichtigsten Feinheiten und Unterschiede.

Warum sollten sich Wildwasser- und Tourenpaddler fürs Seekajakfahren interessieren? Na, ganz einfach: Weil die Erfahrung zeigt, dass selbst gestandene Wild­wasserfreaks und eingefleischte Tourenpaddler großen Gefallen am Paddeln auf offener See finde­n. Außerdem hat Seekajakfahren einfach Meer zu bieten!

In diesem und den folgenden Workshops möchte ich auf die größten Unterschiede zwischen den Spielarten eingehen und helfen, bereit­s erlernte Techniken zu adaptieren, um aus guten Wildwasser- und Tourenpaddlern versierte Seekajakfahrer zu machen. Einen entscheidenden Unterschied zwischen den Disziplinen stellt beispielsweise die Sitzposition dar: Für einen möglichst guten Kontakt zum Boot klemmt man in eine­m Wildwasserkajak in einer froschartigen Sitzposition, die Knie an die Seiten gepresst, die Hüfte verkeilt und die Fußstütze so nah wie möglic­h. Im Seekajak sitzt man freier, die Beine sollten etwas Spiel haben und liegen paralleler nebeneinande­r. Der Kontakt zu den Schenkel­stützen ist deutlich lockerer. Während der Paddelbewegung arbeiten die Beine mit und unter­stützen die Rotation im Rumpf.

Unterschiede in der Paddeltechnik
Während Wildwasserkajaks mit ihren flachen Unterschiffen über die Wasseroberfläche gleiten, schneiden Seekajaks das Wasser eher. Die spurtreuen Seekajaks sind deshalb anders zu steuern und zu lenken. Oft geht es dabei nur um Details in der Paddeltechnik, die ich an dieser Stelle näher erklären möchte. Übrigens: Seekajaks werden entgegen aller Annahmen klassisch ohne Steuer­anlage gefahren. Doch auch ohne eine solche kann man sie präzise und sicher manövrieren.

Der Vorwärtsschlag ist der wichtigste Paddelschlag. Er bringt das Kajak voran und sollte so effizient wie möglich sein. Dabei hilft die Vorstellung, dass man das Paddel im Wasser verankert und das Boot daran vorbeizieht. Wird das Blatt geräuschvoll nach hinten gezogen oder flattert es, ist der Schlag nicht optimal. Ein Paddelblatt flattert bei Überbelastung. Um das rechtzeitig zu bemerken, ist es wichtig, den Schaft locker zu halte­n. Für eine­n ruhigen und flatterfreien Zug führt man das Blatt am Ende der Bewegung leicht nach auße­n. So wird gleichzeitig die Zugphase automatisc­h auf Höhe der Hüft­e oder kurz dahinter beendet.

Der Ziehschlag: Auch im Seekajak benötigt man ab und an den Ziehschlag für scharfe Kurven zwischen Felsen und kleinen Inseln. Im Wildwasserboot wird der Ziehschlag parallel neben dem Boot und vor dem Körper gesetzt. Das Paddelblatt ist bis zu 45 Grad geöffnet und zieht das Boot in die neue Richtung. Dabei legt sich der Fahrer in die Kurve und kantet das Boot zum Paddel. Im See­kajak funktioniert der Ziehschlag ähnlich, aber es ist ein Mindestmaß an Fahrgeschwindigkeit nötig und das Paddelblatt darf zunächst nicht zu weit geöffnet werden, ansonsten würde sich das Boot nur seitlich versetzen. Sobald das Boot zu drehen beginnt, kann das Blatt weiter geöffnet werden.

Der Bogenschlag im Wildwasserboot ist einfach. Ein Seekajak dagegen ist zunächst behäbiger und will sich nicht wie gewohnt drehen lassen. Bis auf ein paar Details ist der Schlag dennoch ähnlich. Mit dem Blatt greift man vorne ins Wasser und zieht in einem Bogen bis kurz vors Heck durch. Gleichzeitig wird das Boot zum Paddel aufgekantet, damit sich das Heck lösen kann. So kann das Wasser unte­r dem spitzen Heck hindurchgleiten und das Boot wird wendiger. Der Rundschlag wird durch ein­e Rotation im Oberkörper unterstützt. Wenn das Paddelblatt etwa die Höhe der Luke passiert, wird der Ellenbogen des Zugarms zur Hüfte hin abgewinkel­t und die Druckhand quer über das Kaja­k geführt. Dadurch wird eine noch effektivere Kursänderung erzwungen.

Der Konterschlag: Aufgrund der Länge und des guten Geradeauslaufs bewirkt ein Konterschlag bei einem Seekajak in Ruhe so gut wie nichts. Hat das Boot jedoch etwas Fahrt­geschwindigkeit, kann er durchaus dabei helfen, elegant um die Kurve zu kommen. Zunächst kante­t man das Boot von der Kurvenrichtung weg und leitet die Drehung mit einem halben Bogenschlag ein. Dann legt man das andere Paddelblatt auf der inneren Kurvenseite möglichst weit entfernt vom Boot aufs Wasser und steuert durch Druck und Blattwinkel auf der Wasseroberfläche den Radius und die Geschwindigkeit der Kurvenfahrt. Dabei bleibt das Boot weiter aufgekantet. Wie bei jeder Drehung mit dem Seekajak hilft es, den Körper nach vorne zu lehnen und so das Heck zu entlasten.

Wriggen: Im Wildwasserkajak ist es oft nicht nöti­g, das Boot mehr als ein paar Schläge seitwärts zu bewegen: Lieber dreht man es schnell auf der Stelle und paddelt vorwärts in die neue Richtung. Mit dem Seekajak gelingt eine Drehung lange nicht so flott. Um die Position im Wind, in der Strömung oder zwischen Felsen zu halten, ist die Technik des Wriggens hilfreich. Auf dem Meer kann man dabei den Vorteil des tiefen Wassers ausspielen. Das Paddel kann also sehr steil geführ­t und tief im Wasser verankert werden – auf der Seit­e, in die man das Boot bewegen will. Man stell­e sich das Paddel als Pendel vor. Die obere Hand fixiert und die untere schwingt seitlich zum Bootsrumpf hin und her. Dabei wird die Paddelfläche im Wasser auf der Bahn einer flach liegenden Acht geführt. Mit jedem Pendel­schwung zieht man das Boot so ein wenig in die neue Richtung.

Im Kopf fängt’s an
Nicht nur technisch gibt es Unterschiede zwische­n den Spielarten: Flüsse haben Ufer und normalerweise sind diese nah genug, um dorthin zu gelange­n. In Kehrwässern kann man ausruhen und seine Taktik überdenken. Man kann schwie­rige Abschnitte umtragen, wenn man sich ihnen nicht gewachsen fühlt. Auf dem Meer hingegen sind es manchmal viele Kilometer bis zum nächstmöglichen Anlandeplatz. Ohne Pause, denn der Wind würde einen vom Kurs abtreiben oder die Gezeitenströmung – oder beides. Wenn man zwischendurch bemerkt, dass die Verhältnisse doch nicht passen, gibt es meistens kein Zurück.

Es wäre jedoch fatal, aufgrund dieser Unterschiede zu glauben, dass die eine oder die andere Spielart gefährlicher ist. Jede Disziplin hat ihre individuellen Reize und Risiken.