Paddeltechnik

Kipp, kipp, hurra!

Eine in allen Situationen funktionierende Eskimorolle ist der Ritterschlag für jede Kanutenkarriere. Vorbei die Bleientenzeit, in der jeder Schwapper den Paddler förmlich zum Bade ausschüttete. In diesem Crashkurs zerlegt Kanulehrer Dieter Singer die Wiederaufrichtetechnik der Eskimos in leicht nachvollziehbare Lernhappen – damit Sie in dieser Saison so richtig aufdrehen können.

Die Eskimorolle ist ein Meilenstein in der Entwicklung zum perfekten Paddler. Für Wildwasserfahrer ist sie der Schlüssel zu höheren Schwierigkeitsgraden, für Wanderpaddler eine hilfreiche Ergänzung und für ambitionierte Touren- und Seekajakfahrer eine schnelle und ­autarke Selbstrettungsmaßnahme. Darüber hinaus hebt das Erlernen der Rolle viele relevante ­Fähigkeiten wie Bootsgefühl, Wassergewöhnung, Angstabbau und Technik auf ein neues Level.

Einleitung: ein Ausflug in die Biomechanik
Doch bevor es ans Eingemachte von Hang- und Bogenschlagrolle, Sweep und Combat Roll geht, bedarf es ein wenig Theorie. Die Frage lautet: ­Warum kippen wir beim Paddeln überhaupt so leicht um? Ganz einfach: Die Kenterlage – nämlich kieloben mit dem Kopf unter Wasser – ist physikalisch betrachtet der stabilste Zustand des Systems Boot–Paddler, denn der Körperschwerpunkt befindet sich unter dem Volumenmittelpunkt. Die Ausgangslage, in die wir wieder ­kommen möchten, bezeichnet man hingegen in der Physik als ­labil. Die Eskimorolle ist deshalb so schwierig, weil sich beim Aufrichten der Körperschwerpunkt zeitweise neben dem Volumen­mittelpunkt befindet. Diese sehr instabile Position kann nur durch eine ausreichend große Aufrichtkraft in Verbindung mit einer funktionell richtigen Körperbewegung (Hüftschwung) überwunden werden.

Wie schon die Inuit eine Vielzahl an Rolltech­niken beherrschten, gibt es auch heute sport­­art-spezifisch unterschiedliche Varianten der Eskimorolle. Ein Kanupolospieler hat andere Ansprüche an die Rolle als ein Seekajakfahrer oder ein Wildwasseraspirant. Allen gemein ist, dass durch die Bewegung der Körperschwerpunkt möglichst nah an den Volumenmittelpunkt gebracht wird. 

Grundlagen einer effizienten Eskimorolle
Nur wer unter Wasser entspannt und ruhig ist, wird sich auf die Bewegungsabfolgen bei der ­Rolle konzentrieren können. Bei einem Eskimotierkurs mit Leistungsschwimmern dauerte es keine zehn Minuten, bis die ersten die Handrolle ­konnten. Hier war allerdings neben der Gewöhnung ans Element Wasser das absolute Gefühl für Auftrieb und Wasserwiderstand schon vor­handen – die zweite Voraussetzung für eine ­erfolgreiche Rolle. Die dritte, Roll- und Dreh­bewegungen um verschiedene Körperachsen, ist bei Schwimmern auch gegeben. Also ­warum nicht auch beim ­Lernen der Eskimorolle an den Grundlagen an­setzen, bevor die Rolle mit dem Paddel eher einer asiatischen Stockkampfkunst gleicht als dem kon­trol­lierten Wiederaufrichten eines Kajak?

A. Wassergewöhnung bedeutet, völlige Kon­trolle über den Körper in allen Unterwasserlagen zu haben. Neben dem rechtzeitigen Einatmen über Wasser, dem Haushalten mit Sauerstoff und dem kontrollierten Ausatmen unter Wasser ­gehören daz­u auch die Orientierungsfähigkeit und die Kontrolle der natürlichen Angst beziehungsweise Beklemmung. Können die Augen bewusst geöffnet und geschlossen werde­n? Kann ich nach einer oder zwei Rollen unter Wasser immer noch Richtungen bestimmen? Orientier­ung unter Wasser ist vor alle­m Übungs­sache. Wir nehmen unter Wasser Positione­n ein, die über Wasser nicht oder kaum möglich sind. Unser Orientierungssinn ist darauf nicht vorbereitet und gaukelt uns verkehrte Informationen vor. Diese Übungen können helfen:
 

  • Erkenne mit offenen Augen Gegenstände unter Wasser.
  • Übe dich im Streckentauchen.
  • Rolle deinen Körper unter Wasser (ohne Boot) um alle Körperachsen.
  • Balanciere nach Gefühl im vollgelaufenen Boot.
  • Übe das Ein- und Aussteigen in ein gekentertes Boot im und unter Wasser. 

B. Auftrieb & Widerstand: Selbst die beste Eskimorolle funktioniert nicht ohne Abdruck am Wasser! Je besser du diesen spürst und aufbauen kannst, desto leichter fällt dir jede Art von Eskimo­rolle. Wer es schafft, viel Widerstand aufzubauen, kann damit sogar einen mangelnden Hüftknick ausgleichen – was aber natürlich nicht das Ziel ist. Diese Übungen helfen dir zu verstehen, was Druckaufbau bedeutet:
 

  • Bewege dich mit dem Paddel schwimmend fort.
  • Schwimme mit wenigen Zügen maximal weit.Wer schafft es mit zehn Zügen am weitesten?
  • Übe die Paddelstütze mit vollgelaufenem Boot.
  • Drehe dein Boot im Kreis, ohne dabei das Paddel aus dem Wasser zu nehmen.

C. Roll- und Drehbewegungen: Die Rolle funk­tioniert durch eine geschickten Abfolge von ­Roll- und Drehbewegungen fast aller Körperteile. Da unsere Kraft und der Widerstand im Wasser ­begrenzt sind, muss dies möglichst flüssig und gut abgestimmt erfolgen. Der Hauptimpuls erfolg­t aus der Hüfte, kann aber nur dann effizient sein, wenn das Zusammenspiel mit Armen, Schultern, Rumpf und Kopf gelingt. Folgende Übungen helfen dabei, eine Vorstellung von »runden« ­Bewegungen zu bekommen:

  • Vollführe Sprünge unter Wasser ähnlich dem Snowboarder in der Halfpipe.
  • Mache beim Schwimmen eine Rolle vorwärts und leite diese durch das Einklappen des Handgelenks ein.
  • Rolle um alle Körperachsen mit Schwimmbrett zwischen den Beinen.
  • Klettere auf ein schwimmendes Kajak, ohne ­dabei den Boden zu berühren. 

Endlich gehts ans Eingemachte
Hast du genügend Erfahrungen in den oben ­beschriebenen Bereichen gesammelt (auch alten Hasen tut das gut) und fühlst dich wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser, kannst du gut gerüstet die Eskimorolle angehen. Da die Rolle sehr ­komplex ist und der Hauptimpuls aus der Hüfte erfolgt, ­beginnt man ohne Paddel. Die Kontaktpunkte  Rückengurt, Fußstütze und Schenkelstützen  müssen gut, aber nicht zu straff eingestellt sein, damit Hüfte und Wirbelsäule noch genügend Raum für Rotationsbewegungen haben. 

A. Der Trick mit dem Knick: In den USA wird der Hüftknick mit der Bezeichnung C-to-C-Roll vermittelt: Der Gekenterte hält Kopf und Arme in ­C-Position (Bild 5) seitlich vom Boot und zur ­Wasseroberfläche hin gerichtet. Mit einer explo­siven Bewegung wird nun die gleiche Position auf der Gegenseite eingenommen – durch diesen Hüftknick wird das Boot unter den Körper gerollt. Der Kopf kommt bei allen Übungen immer zuletzt aus dem Wasser, nur so bleibt der Körperschwerpunkt nah genug an der Drehachse. So ­bekommst du beim Hüftknick den Dreh raus:
 

  • Simuliere den Hüftknick mit und ohne Boot an Land. (Bild 5)
  • Übe den Hüftknick am Beckenrand. Halte dabei die Hände nah zusammen. 
  • Übe den Hüftknick an den Händen des Partner­s. Variiere von viel zu wenig Unterstützung. (Bild 6)
  • Trainiere den Hüftknick an mehreren gesta­pelten Schwimmbrettern. Verringere nach und nach die Zahl der Bretter. (Bild 7)
  • Trainiere nicht nur deine ­Schokoladenseite!

B. Die Paddelbewegung: Erst wenn sich ein Grund­vertrauen eingestellt hat und eine Bewegungsvorstellung vorhanden ist, macht es Sinn, das Paddel ins Spiel zu bringen. Aufbauend auf den Hüftknickübungen mit unterschiedlichen Unterstützungsflächen wird nun das Paddel als Verlängerung der Hände eingesetzt. Die Grundstellung am Paddelschaft wird dabei niemals ­verlassen. Die korrekte Paddelführung ist für ­viele der schwierigste Lernschritt und sollte deshalb isoliert trainiert werden. 

Ein Grundverständnis der Bewegung lässt sich bereit­s im Trockendock vermitteln. Im Wasser dann besteht eine Möglichkeit darin, das Paddel durch ­einen Partner führen zu lassen und der ­Bewegung nachzuspüren. Nach mehrmaliger Wieder­holung ­entsteht eine Vorstellung von der Bewegung und der Paddler kann nach und nach selbst die ­Führung übernehmen (Bild 8). Alter­nativ klemmt sich der Übende eine Luft­matratze unter die Achsel (Bild 9). Diese bietet ­genug Auftrieb, um die »Wischbewegung« des Paddels ohne Luftmangel von der Ausgangs­stellung bis zum Startpunkt des Hüftschwungs nachzuvollziehen. Zusätz­lichen Auftrieb bietet auch ein ums Paddelblatt gewickelte­r und halb aufgeblasener Fahrradschlauch (Bild 10). 

Häufige Fehler
Vor allem bei den Partnerübungen schleichen sich durch fehlerhafte Hilfestellungen oft Mängel im Bewegungsmuster ein, die später nur schwer zu beheben sind. Grundsätzlich darf der Partner den Übenden nie in eine Position zwingen, die diese­r nicht auch selbst erreichen könnte. Be­wegunge­n sollten nie mit Gewalt initiiert werden. 

Die Unterstützung findet immer auf der ­Wasser­oberfläche statt und nie höher. Arbeite wenn möglich mit offenen Händen. So blockierst du die Bewegung des Rollenden nicht.

Folgende Fehlerbilder treten häufig auf:

  • Der Hüftschwung wird nicht sauber ausgeführt.
  • Die Zugrichtung des Paddels ist nicht korrekt.
  • Der Gegenarm wird nicht nah genug am Boot, das Paddelblatt zu tief im Wasser geführt.
  • Das Paddelblatt findet keinen Druck und wird verschnitten.

Unterschiedliche Rollen 
Auch wenn es erst mal sinnvoll sein kann, sich an Idealformen der Eskimorolle (Bilderserie 11) zu orientieren, bedingen individuelle Gegeben­heiten individuelle Rollen. Eine verkürzte Muskulatur kann man am ­Beckenrand nicht verlängern, kurze Arme lassen sich nur bedingt durch Material ausgleichen, ­Beklemmung im Boot lässt sich nicht durch ­gutes Zureden vertreiben. Von Bedeutung ist auch, für welche Disziplin die Rolle später eingesetzt werden soll. Einen Überblick gibt die ­folgende ­Tabelle:

Eskimotiertipps für Fortgeschrittene
Wer die Eskimorolle im Hallenbad oder am See perfektioniert hat, möchte sie natürlich auch im Ernstfall anwenden. Hierzu gibt es einige vor­bereitende Übungen, die natürlich nicht das Überraschungsmoment einer »echten« Kenterung haben. Trotzdem steigern sie die Anforderungen erheblich. Mit folgenden Übungen simulierst du in sicherer Umgebung die rauen Umstände auf dem Wildwasser: 

  • Paddle, bis du einen Puls von ca. 140 Schlägen hast, und versuche dann die Rolle.
  • Kentere in unterschiedlichsten Positionen, z.?B. mit verschränkten Armen.
  • Lass dich durch einen Partner umwerfen und/oder am Hochrollen hindern.
  • Rolle in voller Ausrüstung.
  • Rolle mit halb vollgelaufenem Boot.
  • Steige in ein gekentertes Boot ein und rolle es hoch.

Wenn es dann schließlich für »Real Life«-Rollübungen in die Strömung geht, wählst du eine Wildwasserstelle oder Brandung, die keine ­Gefahr für dich darstellt und ­sicherst sie mit Freunden. Achte auf ausreichend Wassertiefe (Rollnovizen benötigen am Anfang oft eine ­größere Wassertiefe als die Könner), auch im Sommer erhöht eine Neomütze die Ausdauer.

Das richtige Boot ist die halbe Rolle
Zu guter Letzt noch einige Worte zur Wahl des ­Kajaks: Vor allem die Form des Bootsbodens, das ­Volumen und die Breite im Mittelschiff sowie die Länge des Boots beeinflussen die Rollbewegung sehr. Je runder ein Boot, desto leichter rollt es. Hierbei ist nicht nur der Bootsboden ent­scheidend, vor allem die Übergänge von Ober- zu Unterschiff beeinflussen das Rollver­halten. Kantige Boote mit flachem Boden eignen sich weniger für Roll­anfänger.

»Erstaunlich: Ein Seekajak mit wenig Volumen und niedriger Wasserlinie ist das ideale Rollboot.«

Hat ein Boot ein sehr dickes Mittelschiff, wie es moderne Creeker und Freestyleboote haben, ­erschwert dies das Ausdrehen des Paddels. Nur ­große Personen mit langen Armen kompensieren 

diesen Nachteil. Bei dieser Art von Booten eignet sich die Sweep Roll besser als die Hangrolle, da das Paddel nicht so weit ausgedreht werden muss. Die Länge des Boots beeinflusst die Rotation um die Bootsquerachse. Da es in der Lernphase der Rolle häufig zu starken Impulsen Richtung Heck kommt, eignet sich ein Boot mit längerer Wasserlinie ­besser als ein Freestyleboot. Auch wenn es von außen anders aussieht – ein See­kajak mit ­wenig Volumen und niedriger Wasser­linie ist das ideale »Rollboot«! 

Also – wenn die Rolle nicht klappt, einfach mal ein anderes Boot testen – es gibt wirklich erstaunliche ­Unterschiede! <