Young_Pirates_1

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Vom Rheinland in die Voralpen, vom Altenpfleger zum Filmemacher, von »Boof Chicken Boof« bis in die ZDF-Sportreportage: Seit dem Kauf seiner ersten Videokamera 1997 hat sich bei Olaf Obsommer (44) einiges getan. KANU hat  gefragt, wie Deutschlands bekanntester Kajakfilmer den Spagat zwischen Familie, Beruf und der Leidenschaft Wildwasser meistert.

Olaf, wenn du dir heute dein erstes Werk »Boof Chicken Boof« anschaust – wie fühlt sich das an?
Irgendwas zwischen peinlich, verstrahlt und ganz ok. Bei einigen genießt der Film inzwischen Kultstatus, die musikalische Unter­malung ist ganz sicher unübertroffen … Auf jeden Fall blicke ich gern auf diese Zeit zurück. »Boof Chicken Boof« war der Startschuss für meine »Karriere« als Filmemacher. Das Beste aber war der zehnwöchige Norwegen-Trip mit einem 7,5-Tonnen-Magirus-Deutz-Feuerlöschfahrzeug, auf dem wir Material für den Film sammelten. Diese Reise war die unbefangenste und reinste von allen – so frei war ich nie wieder in meinen Gedanken und in meinem Leben.

Wie kamst du überhaupt auf die Idee, Kajakfilme zu machen?
Manuel Arnu, Michael Neumann und Jonas Nöcker haben fotografiert und sich mit Diavorträgen und dem Verkauf ihrer Bilder ihre Reisen rund um den Globus finanziert. Das wollte ich auch! Aber erstens ist der Markt für Paddelfotografie recht überschaubar und zweitens waren die drei gute Freunde von mir – für noch einen Fotografen war schlicht kein Platz. Zum Glück kam just in diesem Jahr, 1997, der erste digitale Mini-DV-Camcorder auf den Markt. Da ich ab und zu schon mal ein­e Super-8-Kamera in der Hand gehalten hatte, kaufte ich mir in völliger Selbstüberschätzung die erste 3-Chip-Consumer-Kamera der Welt – für unvorstellbare 5000 Mark!

Steckbrief

Olaf Obsommer
Kajakfahrer und Filmemacher

Olaf wuchs in Haan bei Düsseldorf auf und ging schon im Mutterleib mit auf Kanutour. Nach einer ambitionierten Laufbahn im Handball zog es ihn 1998 nach Bayern – Olaf wollte näher am Wildwasser sein. Inzwischen ist er einer der profiliertesten Filmemacher überhaupt und reist mit Boot und Kamera um die Welt.

Wolltest du von Anfang an damit deinen Lebensunterhalt verdienen?
1998 bin ich von Haan bei Düsseldorf nach Nussdorf am Inn in die Kajak-WG gezogen, um näher am Wildwasser zu sein. Trotzdem habe ich anfangs noch in meinem Beruf als Altenpfleger gearbeitet. Als dann meine beiden Filme »Sickline II« und »Richtig Rodeo fahren« gut ankamen, dachte ich mir: Jetzt versuchst du mal, davon zu leben.

Das Hobby zum Beruf gemacht – für viele klingt das nach dem perfekten Lebensentwurf. Wie viel Leidenschaft ist nach all den Jahren im Business noch übrig?
Oh, das Feuer brennt noch, keine Sorge. Wenn ich auf dem Wasser bin, ist das wie Medi­­ta­tion für mich. Neben der sportlichen Herausforderung gibt mir aber auch das Zwischenmenschliche beim Kajakfahren unheimlich viel. Während all der Reisen und Abenteuer ist so zwischen vielen Menschen ein unsichtbares Band entstanden, das in einigen Fällen ein Leben lang hält.

Wie lange willst du noch mit den jungen Wilden ins Boot steigen?
Wenn es irgendwann mal heißt: »Oh je, der Obsommer, der alte Sack, will mit!«, dann ist meine Zeit vorbei. Aber solange ich im Zweifel schnell umtragen kann und niemandem ein Klotz am Bein bin, sehe ich keinen Grund, mit dem Wildwasserfahren aufzuhören. Ich kann mich und meine Fitness gut einschätzen. Wenn es Defizite gibt für ein bestimmtes Projekt, bereite ich mich entsprechend vor. Ich spreche mit Paddlern, die den Fluss kennen, sammle Informationen über die Kernstellen und entscheide dann, ob ich es drauf habe oder besser zu Hause bleibe.

Was sagt denn deine Freundin dazu? Ihr habt immerhin zwei kleine Kinder …
Das fragt ihr sie besser selbst … Sicher ist es nicht einfach, meinen Lebensentwurf mit der Familie unter einen Hut zu bringen. Auf der anderen Seite gibt es viele Väter, die noch seltener zu Hause sind als ich. Meine größte Sorge ist nicht, dass mir etwa­s passieren könnte, sondern vielmehr den Kindern: Bekomme ich das mit der Erziehung gut gemeistert? Schaffe ich es, den Kids stets den richtigen Pfad zu zeigen? Bin ich finanziell in der Lage, ihnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen?

Was treibt dich nach all den Jahren immer wieder hinaus in die Welt?
Die Schulzeit habe ich nur durch ausgiebige Nickerchen durchgestanden. Man sagt ja, dass reisen bildet, so versuche ich, das Defizit auszugleichen. Und es gibt wirklich jede Menge Nachholbedarf … Der Drang nach Freiheit, dem totalen Konsum zu entfliehen, sein Leben zu reduzieren und unabhängig vom sozialen Status zu sein – das ist meine Motivation. Also im Sein und nicht im Haben zu leben. Leider funktioniert das natürlich auch bei mir im Alltag kaum, aber wenn ich unterwegs bin, überkommt mich immer so ein reines und freies Gefühl.

Erzähl uns was über deine nächsten Projekte.
Im Mai geht es für ein Kanu-Freestyle-Projekt nach Kanada. Gedreht wird an der  Gezeitenstromschnelle Skookumchuk und an den großen Wellen in Quebec und Ottawa. Die Freestyle-Szene hat sich, wie auch das extrem­e Wildwasserpaddeln, im letzten Jahrzehn­t rasant entwickelt. Es ist an der Zeit, diese Progression mal wieder in einem schöne­n Film zu würdigen.
Als zweites Projekt steht Kirgisistan auf dem Programm, davor schlottern mir schon ein wenig die Knie: Der Saryjaz hat seinen Ursprun­g in den Gletschern des 7439 Meter hohen Dschengisch Tschokusu im Tian-Shan-Gebirge. Von dort strömt er durch eine tiefe Schlucht, ähnlich der des Stikine. Eine Stelle trägt den Namen »Die Augen Gottes« – hier zwängen sich 1000 Kubik durch eine 15 Meter­ breite Verengung. Massive Whirlpools und riesige Verschneidungslinien werden uns alles abverlangen. Leider haben wir für den Grenzübertritt nach China keine Geneh­migun­g bekomme­n. Die Begründung aus Pekin­g war, dass sie ja extra einen Beamten ins Nirgendwo schicken müssten, um unsere Ausweise abzustempeln … Na ja, so müssen wir also mit der gesamten Ausrüstung zwei bis drei Tage über einen 3000 Meter hohen Pass zu einer verlassenen Wetterstatio­n laufen. Ob wir das schaffen und ob dort dann tatsächlich der Helikopter auf uns wartet, wird man auf meiner Filmtour im Herbst 2015 sehen.

Rechnet sich das Dasein als Vortragsreis­ender im Internetzeitalter überhaupt noch?
Tatsächlich bestreite ich meinen Lebens­unterhalt aus unterschiedlichen Einnahmequellen, nur etwa 15 Prozent entfallen auf die Filmvorträg­e. Ganz grob sieht die restliche Aufteilung folgendermaßen aus: 30 Prozent Sponsorengeld, 20 Prozent Filmproduktion, 15 Prozent Kameramann, 10 Prozent TV-Lizenzgebühren und 10 Prozent Honorare für Fernsehauftritte, Festivals etc. Der DVD-Verkauf lohnt sich schon lange nicht mehr, und die Reisen, aus denen dann mein Vortragsprogramm entsteht, sind nur durch die finanzielle Unterstützung von Sponsoren möglich. Aber ohne mir selbst auf die Schulter klopfen zu wollen, machen wir mit der Vermarktung unserer Projekte einen guten Job, so dass sich das Investment auch für die Partner lohnt. 2014 war das erfolgreichste Jahr der Filmtour, außer an drei Terminen gab es überall Zuschauerrekorde. Es ist halt doch was anderes, einen schönen Film auf Großleinwand in Full-HD zu schauen als am kleinen Computerbildschirm. Dazu kommt die Moderation und der soziale Austausch. Man trifft Freunde, trinkt ein Bier zusammen und heckt neue Pläne aus. Solange ich genügend Abenteuer erlebe, über die ich berichten kann, wird das Konzept auch weiter funktionieren.

Was war bisher dein größter beruflicher Erfolg?
Stolz bin ich in erster Linie auf meinen wenig geradlinigen Werdegang: Ich bin gelernter Industriemechaniker, examinierter Altenpfleger, Vortragsreisender, Filmproduzent, Kameramann und ein bisschen Sportler. Wirtschaftlich ist der größte Erfolg, dass ich seit 2006 mit adidas zusammenarbeite. Für meine persönliche Entwicklung waren ganz sicher die acht Jahre als Altenpflegehelfer enorm wertvoll. Das war eine Zeit, in der ich meistens im Sein leben durfte und nicht vom Haben gesteuert war. Viele Leute sagen mir auch, wie toll das sei, wenn ich zum Beispiel bei Stern-TV zu Gast bin. Aber ich bin eigentlich eher introvertiert und beileibe keine Rampensau, öffentlich­e Auftritte kosten mich stets Überwindung. Auch die Vorträge sind für mich harte Arbeit. Aber wenn das Publikum sich gut unterhalten fühlt, hat sich der Aufwand gelohnt – dann macht mir die Arbeit Spaß!

Dank Gopro und Co. kann heute jeder seinen eigenen Actionfilm drehen. Was unterscheidet die zahllosen Internetclips von professionellen Produktionen?
Wenig und doch viel. Manche dieser Clips sind wahre Kunstwerke und machen viel Spaß beim Anschauen. Im Internet ist die Aufmerksamkeitsspanne der User – Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel – maximal drei bis fünf Minuten lang. Da brauchst du nicht mit großem Vorspann, Blabla und aufwendigen Animationen daherkommen. Bei größeren Dokumentationen benötigst du ein gutes Konzept, eine schlüssige Geschichte und einen roten Faden. Der größte Unterschied zu einem Großteil der Internetfilme besteht aber sicher schlicht in der handwerklichen Umsetzung: Wer einfach draufhält, wird zwar die Action einfangen, aber einem Profi ästhetisch nicht so schnell das Wasser reichen können. Trotzdem sind Gopro und Co. ein Segen – nicht nur, weil sie auch mir die Arbeit vereinfachen. Ich finde es toll, dass mit ein bisschen Elan jeder sein eigenes Video machen kann. Mein Tipp: Nicht zu prahlerisch sein, Selbstironie kommt immer gut an.

Thema Sicherheit: Action vor der Kamera um jeden Preis oder safety first?
Es gibt sicherlich Momente, wo Kajaker mehr riskieren, weil eine Kamera läuft. Ich halte es so: Habe ich Bedenken, wenn jemand unbedingt einen Wasserfall paddeln will, sage ich ihm das. Steigt er trotzdem ins Boot, halte ich drauf. Jeder ist seines Glückes Schmied und sollte mit seiner Motivation fürs Paddeln im Reinen sein. Das heißt aber nicht, dass ich leichtfertig mit der Sicherheit meiner Mitpaddler umgehe. Bei Bike2Boat etwa waren wir sehr konservativ in unserer Risikoeinschätzung, weil wir nur zu dritt waren: Einer ist gepaddelt, einer hat fotografiert, der dritte gefilmt. Also war keiner mehr für die Ab­sicherung übrig. Anders in Island: Am mächtigen Aldeyarfoss waren wir zu zehnt, nur drei wollten paddeln, abzüglich Fotograf und Kameraman­n blieben also fünf Leute für das Safety­-Team. Wir haben sogar extra jemanden oberhalb einer Unterspülung abgeseilt, um möglichst jedes Risiko auszuschließen.

Was war der beste Trip deines Lebens?
Du kannst am schönsten Ort, auf dem besten Fluss der Welt sein, mit Sonnenschein und dem perfekten Wasserstand. Wenn in der Gruppe die Chemie nicht passt, nützt dir das alles nichts. Deshalb fällt es mir schwer, einen bestimmten Trip herauszupicken. Neben der erwähnten Norwegenreise war die Alpendurchquerung mit Bike und Boot vor zwei Jahren ein einmaliges Erlebnis. Auch an die Touren mit dem adidas-Team denke ich immer wieder gerne zurück.

Wenn du dein Leben noch einmal leben könntest, würdest du alles genauso machen?
Ein paar Fehltritte würde ich mir sicher verkneifen. Ich wäre ja schön blöd, die gleichen Fehler noch mal zu machen. Aber alles in alle­m bin ich doch sehr zufrieden. Die Entscheidun­g, im weitesten Sinne mit dem Kajakfahre­n mein Geld zu verdienen, mag wirtschaftlich nicht immer die beste ge­wesen sein, aber immerhin hat sie mich glücklich gemacht. Die ersten Jahre waren ziemlich hart, und oft standen Dosenravioli auf dem Speiseplan, da jeder Pfennig sofort in neue Filmausrüstung investiert wurde. Zum Glück kann ich mir inzwischen eine ausgewogenere Ernährung leisten 😉
Und menschlich gesehen hat mir der Sport stets eine Menge gegeben. Sicher war auf meinem Weg auch viel Dusel dabei, aber vielleicht ist ja was dran an der Metapher: Das Glück wohnt an der Straße, wo Vorbereitung und Gelegenheit sich kreuzen.