Young_Pirates_1

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Als Paddelanfänger hat man es schwer: Man tauscht den festen Boden unter den Füßen ein gegen ein wackliges Boot auf wackligem Wasser mit einem sperrigem Paddel in der Hand. Doch es lockt auch die große Freiheit – aus eigener Kraft dorthin zu kommen, wo man eben nur als Paddler hinkommt. Kanulehrer Michael Radermacher erklärt, wie die ersten Schritte nicht zur Stolperfalle, sondern zum schnellen Lernerfolg werden.

Kanufahren ist eine äußerst komplexe Angelegenheit: Der Untergrund, auf dem ich mich bewege, ist nicht fix wie etwa der Boden beim Laufen, sondern dynamisch. Das Wasser fließt, wird verdrängt, bildet Strömungen und gibt nach, wenn ich reinfalle. Obendrein bewege ich mich nicht direkt im Element (wie ein Schwimmer), sondern sitze mit einem Paddel in Händen in einem Boot. Diese Kombination stellt enorme Anforderungen an die Motorik des Paddler­s – besonders Anfänger bekommen das zu spüre­n, wenn sie sich bei den ersten Versuchen wieder und wieder im Kreis drehen.

Natürlich gibt es viele gute Lehrbücher, die den theoretischen Unterbau für eine erfolgreiche Paddelkarriere vermitteln. Doch wer hat schon auf der Spritzdecke Platz für ein Buch, um beim Üben mal schnell nachzublättern, wie dieses und jenes noch gleich funktioniert? Das Paddeln lernt man am besten beim Paddeln. Üben, üben und noch mal üben heißt die Devise. Am besten natürlic­h unter fachkundiger Anleitung in der Kanuschule. Die folgenden Basics beschreiben im Wesentlichen die ersten Lernschritte, die unseren Schülern während der ersten ein bis zwei Kurs­wochen vermittel­t werden.

Steckbrief

Michael Radermacher

Michael Radermacher (*1964) paddelt seit über 45 Jahren. Er gewann sechs Deutsche-Meister-Titel im Kanuslalom, nach der aktiven Karriere betreute er bis 2007 als Trainer das U-23-Team des DKV und gründete eine Kanuschule samt Fachgeschäft. Außerdem bietet Michael Wildwasser- und Seekajakreisen an, darunter Traumtrips zum Grand Canyon. Mehr Infos gibt es auf www.kanutotal.de.

Die Basis des Gelingens – die Sitzposition
Ob eine Übung gelingt oder nicht, entscheidet vor allem die richtige Sitzposition: Boot und Körper müssen eine möglichst stabile und sichere Bindung eingehen.

Dafür sitzt du aufrecht und mit leicht vor­gebeugtem Oberkörper im Kajak, die Bauch- und Rückenmuskulatur ist angespannt und hält den Rumpf in stabiler Position. Prallplatte, Schenkelstützen und Rückengurt sollten so eingestellt sein, dass du mit Fußballen, Knien und Lendenwirbelbereich fünf Kontaktpunkte zum Boot hast, die leicht unter Druck sind. Der Körper sollte sich dabei nicht zur Seite bewegen, damit zunächst die Schwerkraft immer durch die Körperachse geht.

Vielen Kajakschülern erscheint die Position zu Anfang unbequem, meist ist eine unzureichende Rumpfmuskulatur dafür verantwortlich. Mit der Zeit bilden sich Muskeln, die das Skelett stabilisieren – und zwar nicht nur im Boot. Paddeln ist also auch ein gutes Aufbautraining für Menschen mit Rückenproblemen.

Am langen Hebel – der Vorwärtsschlag
Im Kajak kann man Kapitän sein und das Boot steuern, oder blinder Passagier und hoffen, dass man heil ankommt. Eins von beiden ist echt cool …

Zur Paddelhaltung gibt es ganz unterschied­liche Ansätze und jeder Kanute wird auf Dauer seinen eigenen Stil entwickeln. Dennoch gibt es für Anfänger folgende Grundregeln:

  1. Greife das Paddel etwas mehr als schulterbreit und kontrolliere, ob der Abstand zu beiden Paddelblättern gleich ist. Für die Feinjustierung der optimalen Griffbreite kannst du mal ganz außen an den Blättern packen und mal ganz innen, so dass sich deine Hände fast berühren. Schnell wirst du feststellen, wo sich das Paddeln für dich »richtig« anfühlt. Ein Klebestreifen als Markierung hilft dir beim Kontrollieren der Griffposition.
  2. Führe die obere Hand zwischen Schulter- und Augenhöhe nach vorne, bis der Arm nahezu gestreckt ist. Tauche dann das Blatt auf Höhe der Füß­e schnell und steil ein, bis es ganz im Wasser ist.
  3. Ziehe mit der unteren Hand möglichst nah am Boot entlang bis zum Körper. Je bootsferner du das Paddel ziehst, desto größer wird der Drehimpuls – im Moment liegt unser Fokus aber noch auf dem Gerade­auspaddeln.
  4. Versuche, ständig ein Paddelblatt im Wasser zu haben, denn nur so bist du jederzeit in der Lage, das Boot zu kontrollieren.

Kopf hoch! – Die Blicksteuerung
Wer schon mal einen Salto im Schwimmbad versucht hat, weiß: Der Kopf steuert die Bewegung! Dreht er sich in eine bestimmte Richtung, folgt der restliche Körper mehr oder weniger von allein. Verantwortlich dafür ist die Koppelung von Blick- und Bewegungsverhalten – wohin wir schauen, richtet sich der Körper aus. Natürlich kann man auch aus dem Augenwinkel die Blickrichtung ändern, für eine optimale Bewegungsunterstützung solltest du aber versuchen, mit der Nasenspitze zu schauen, also Blick und Blickrichtung in eine Flucht zu bringen. Doch wohin soll ich überhaupt gucken? Niemand würde beim Fahrradfahren auf seine Füße schauen, um zu sehen, ob sie richtig treten. Genauso wenig macht es Sinn, beim Kajakfahren das Paddel und die Bootsspitze anzuschauen. Fixier­e vielmehr den Punkt, wohin du paddeln willst.

Alles im Lot? – Die Körperlage
Beim Paddeln kann ich mit der Körperlage meinen Schwerpunkt im Boot verlagern und somit auch den Drehpunkt des Bootes entscheidend verändern. Die eingangs beschriebene Sitzposi­tion ist die sogenannte neutrale Lage. Beugt man sich weiter vorn, spricht man von Vorlage, sitzt man hinten, befindet man sich in der Rücklage.

Versuche nun, deine Körperlage zu verändern und beobachte, was dabei mit deinem Boot passiert, wenn du es steuern möchtest. Bewegst du dich nach vorne, wird sich die Drehung beschleunigen beziehungsweise der Kurvenradius verkleinern. In Rücklage vergrößert sich der Radius und die Drehung wird langsamer. Eine entscheidende Erkenntnis, wenn es um das Ein- und Ausfahren in die Strömung oder das Kehrwasser geht.

Geschwindigkeit gibt Sicherheit – das Kurvenfahren
Um sich an die Schräglage des Boots heranzutasten, braucht es etwas Überwindung. Solange du jedoch etwas Geschwindigkeit beim Kurvenpaddeln hast, verhindern schon die Fliehkräfte, dass du einfach umkippst. Wieder bedienen wir uns des Radfahrbeispiels: Niemand würde versuchen, mit dem Fahrrad aufrecht durch eine Kurve, oder in Schräglage geradeaus zu fahren.

Bewege also deinen Körper mit in die Innenkurve und halte dabei den Kopf gerade. So bleibt dein Blickhorizont waagerecht – deine Körperneigung und die entsprechende Bootslage gleichen die Fliehkräfte aus.

Mit zunehmender Kurvengeschwindigkeit lehnst du dich weiter hinaus in die Innenkurve, mit abnehmendem Tempo richtest du Körper und Boot langsam wieder auf. Diese komplexe Dynamik ist vor allem beim Ein- und Ausfahren in Strömung und Kehrwasser entscheidend. Probier­e es zunächst in langsamer Strömung mit einer ruhigen Verschneidungszone aus und steiger­e dann bei stärkerer Strömung deinen Entdeckergeis­t. Die Verschneidungszone ist der Bereic­h zwischen Kehrwasser und Strömung, in der sich die Strömungsrichtung ändert. Bei große­n Strömungsunterschieden bilden sich verstärk­t Wirbel und Pilze.

Auf Kurs bleiben – die Steuerschläge
Aus meiner Erfahrung ist es sinnvoll, zunächst nur wenige Schlagtypen anzuwenden, um schnelle Lernerfolge zu erzielen. Mit Grund- und Bogenschlag – jeweils vorwärts und rückwärts – kann man nahezu jedes anfängertaugliche Manöver fahren. Alle weiteren Steuerschläge stellen hohe motorische Anforderungen und gehören meines Erachtens nicht in das Repertoire der Grundausbildung. Vielmehr erleichtert die Reduktion auf die Grundschläge dem Kajakneuling das Üben und lenkt dessen Sinne auf Wasser, Boot und das eigene Körpergefühl.

Grundschlag vorwärts und rückwärts sollten möglichst bootsnah und parallel zur Bootslängsachse ausgeführt werden. Der Bogenschlag vorwärts soll, wie der Name schon sagt, in möglichst weitem Bogen von den Füßen bis zum Heck ausgeführt werden, dabei ist die Steuerwirkung im mittleren und hinteren Drittel deutlich größer, wogegen die zusätzliche Beschleunigung im ersten Drittel am größten ist. Mit der Ausführung des Bogenschlages vorwärts wandert der Oberkörper gleichzeitig in die Rücklage, was den Schwerpunkt nach hinten verlagert und das Boot leichter drehen lässt.

Der Bogenschlag rückwärts wird auf Grund des Bootsschwerpunktes eher dazu gebraucht, das Heck vom Paddel aus wegzudrehen und ist daher nur im ersten bis mittleren Drittel effektiv. Daher solltest du versuchen, das Boot so weit wie möglich mit Vorwärtsschlägen zu steuern. Diese beschleunigen das Boot (»Geschwindigkeit bringt Sicherheit«), wogegen Konterschläge die Fahrt abbremse­n. Übe alle Steuerschläge zunächst auf stehendem Wasser, bevor du sie in der Strömung anwendest.

Der heilige Gral – das Kehrwasserfahren
Ein, wenn nicht der entscheidende Schritt beim Paddelnlernen ist das Kehrwasserfahren. Hat man die Grundlagen einmal durchschaut, steht einer steilen Karriere im Wildwasser nichts mehr entgegen. Vorher lauern allerdings fiese Verschneidunge­n, wechselnde Strömungen und pulsierende Kehrwasser.

  • Vom Kehrwasser (hinter einem Stein) in die Strömung.
    Fahre nah am Stein mit Schwung und in spitzem Winkel in die Strömung. Bevor die Spitze die Strömun­g trifft, bewegt sich der Oberkörper leicht nach hinten, Boot und Oberkörper werden gleichzeiti­g zur Kurveninnenseite gelegt. Je nach Positio­n des Körperschwerpunktes dreht das Boot schneller oder langsamer. Mit zunehmender Drehun­g des Bootes und Abnahme der Geschwindigkeit werden Oberkörper und Boot wieder in die Grundposition gebracht. Wenn Du es dabei schaffst, auf beiden Seiten weiterzupaddeln, bleibt dein Boot stabiler und ist leichter zu steuern.
  • Von der Strömung in das Kehrwasser
    Wie zuvor paddelst du mit Tempo und in spitzem Winkel ins Kehrwasser. Variiere Winkel und Körperschwerpunkt und finde je nach Wassergeschwindigkeit und Breite der Strömung und des Kehrwassers das beste Verhältnis.

    Beachte: Je spitzer der Ein- oder Ausfahrtswinkel gewählt wird, umso kleiner ist die Angriffs­fläche, die das Wasser am Boot hat. Der häufigste Fehler ist der, dass man zu tief in die Strömung fährt. Das erscheint auf den ersten Blick leichter, da man so vermeintlich schneller ins ablaufende Wasser kommt. Allerdings bleibt das Boot durch das zu schnelle Abdrehen oftmals im »Kabbelwasser« der Verschneidungszone hängen, nicht selten kentern Anfänger dabei.