Ausrüstung Einzeltests

Von den Grenzen der Trockenheit

Trockenanzug, Trockenjacke, Trockenhose: All diese Bezeichnungen verheißen absoluten Schutz gegen eindringendes Wasser. Einen gewissen Schutz bieten sie tatsächlich. Einen hundertprozentigen nicht.

Tanja Lindner

Nicht nur Paddler nutzen »Trockenkleidung«. Auch Taucher tun das, und die sind schon per definitionem ständig im Wasser, nicht nur unfreiwillig bei einem Schwimmer. Auch der Autor dieser Zeilen hat viele Stunden in Trockentauchanzügen unter Wasser verbracht. Sein Fazit: Hundertprozentig trocken war er nach dem Tauchgang unter seinem Anzug eigentlich nie. Zumindest die Ärmel-Unterteile der Unterziehkleidung waren nach dem Auftauchen meist feucht bis nass, oft auch der Bereich unter dem Hals.

Einfallstore

Diese Bereiche deuten auch schon eindeutig auf die Haupteinfallstore hin, die das feuchte Nass zum Infiltrieren eines Trockenanzugs nutzt: die Manschetten. Bei Trockenanzügen für Taucher bestehen diese aus Latex, bei Trockenanzügen für Paddler aus Latex und/oder Neopren. Latex gilt als die dichtere Variante, aber auch sie kann nicht verhindern, dass sich am Handgelenk eines Paddlers während der Tour Veränderungen abspielen. Welche das sind, ist offensichtlich: Bilden Sie einfach mal eine Faust, spannen Sie die Muskeln an und beobachten Sie den Bereich des Unterarms, in dem man üblicherweise den Puls misst: Die Sehnen treten hervor, daneben bilden sich Kehlungen wie kleine Kanäle – genug Platz für das Wasser, um in das Innere des Trockenanzugs einzudringen. Es gibt allerdings ein Mittel, den Wassereintritt zu reduzieren, indem man die Manschetten ein Stück weit den Arm hinauf zieht, raus aus dem Sehnenbereich. Der Nachteil: Solange man an der Luft ist, fühlt sich das nicht ganz so gemütlich an – und ziemlich kühl, wenn man im tiefen Winter unterwegs ist.

Am Hals ist das Verschieben der Manschette natürlich nur eingeschränkt sinnvoll oder überhaupt möglich. Hier gibt es nur einen Tipp: Sollte man die Manschette zuschneiden müssen, weil man sonst Atemnot bekommt, dann sollte man dabei Vorsicht walten lassen und ganz allmählich vorgehen – eine Halsmanschette, die sich so weit anfühlt wie ein Sweatshirt-Kragen, bietet genausoviel Schutz gegen eindringendes Wasser wie eben dieser.
Manche Hersteller von Tauchausrüstung versuchen übrigens, das Problem an den Handgelenken zu beheben, indem sie Trockenhandschuhe mit einem Dichtring-System anbieten. Für Paddler gibt es so etwas bislang nicht – und das möglicherweise mit gutem Grund: Zum einen könnten allzu klobige Handschuhe den »Grip« auf den Paddelschaft beeinträchtigen. Und zum anderen könnten die Dichtringe selbst stören, wenn man das Paddel dicht am Bootsrumpf vorbei zieht.

Der Reißverschluss

Und es gibt noch ein Einfallstor: den Reißverschluss. Das liegt nicht am Zipper selber – die Dinger sind bei Paddeltrockis von Werk aus tatsächlich wasserdicht. Allerdings gibt es einen vom Paddlervolk häufig begangenen Fehler: nämlich den letzten Zentimeter des Reißverschlusses nicht vollständig zu schließen. Das sollte man aber unbedingt mit Nachdruck tun und gerne auch ein, zwei Mal nachkontrollieren – eine Kenterung mit unvollständig geschlossenem Reißverschluss ist ein ziemlich unangenehmes und obendrein gefährliches Missgeschick, vor allem dann, wenn man nicht unmittelbar das Ufer erreichen kann. Das gilt auch für Pinkelreißverschluss oder Drop-Seat!
Aus einem ähnlichen Grund sollte man vor dem Lospaddeln etwas Luft aus dem Trocki entfernen. Das geht am effizientesten, indem man sich hinkniet, die Arme an den Oberkörper drückt und gleichzeitig mit einem Finger die Halsmanschette öffnet. Die Luft ballt sich nämlich ansonsten wegen der eng ansitzenden Schwimmweste mehr als erwünscht im Beinbereich – und das kann bei einem Schwimmer zu einer, schmeichelhaft ausgedrückt, reichlich unvorteilhaften Schwimmlage führen.

Druckstellen

Auch für das Anzugmaterial von Paddeltrockis selbst gilt: Selbstverständlich ist es wasserdicht – soweit wie möglich. Allerdings gibt es auch hier Schwachstellen, vor allem, wenn man sehr lange unterwegs ist. Dann kann etwas Feuchtigkeit allmählich auch durch das dichteste Material sickern – nämlich dort, wo das Anzugmaterial durch Druck komprimiert wird, beispielsweise am Sitz oder in den Paddelschuhen.

Pflege tut not

Die wasserdichten Reißverschlüsse der meisten Paddeltrockis sind solide gebaut. Etwas Zuwendung brauchen sie trotzdem: So sollte man ihnen regelmäßig Pflege mit Zipper-Lubricant gönnen – in der Regel ein Stick, der so ähnlich aussieht wie der berühmtere von Labello und der üblicherweise zum Lieferumfang eines Trockis gehört.
Außerdem sollte man seinen Anzug mit geschlossenem Reißverschluss lagern – im Optimalfall aufgehängt mit einem soliden (noch besser: gepolsterten) Bügel, um den Zipper von Knickstellen zu verschonen. Das kommt auch dem Laminat zugute, das auf die Dauer an Knickstellen Schaden nehmen kann. Aus den gleichen Gründen empfiehlt Jan Kellner, Deutschlandchef des Zubehör-Spezialisten PALM, für den Transport von Paddeltrockis: »Reißverschluss schließen – und dann so locker und lose zusammenrollen, wie es das Gepäckstück erlaubt.«
Auch Latexmanschetten haben eine sensible Seite: Sie vertragen sich nicht mit Sonnencreme und mit Kosmetika. Neoprenmanschetten sind in dieser Hinsicht etwas weniger empfindlich als ihre nahen Verwandten, außerdem sind sie bequemer – aber eben auch weniger dicht.

Zweiteiler

Natürlich benutzen nicht alle Paddler einen einteiligen Trockenzug. Manche bevorzugen eine Kombination aus Trockenjacke und Trockenhose, die das feuchte Nass in der Körpermitte mittels Kaminsystem eine Weile draußen hält. Die Erfahrung zeigt allerdings: Nach einer Kenterung sucht sich das Wasser seine Wege und findet auf die Dauer auch den Übergang von der Jacke zur Hose.

Klamm von innen

Übrigens droht Feuchtigkeit im Trockenanzug nicht nur von außen. Wer körperlich aktiv wird, kommt vermutlich irgendwann ins Schwitzen. Und das potentiell noch schneller, wenn er in einer Schwimmweste und unter einer Spritzdecke steckt. Dagegen arbeiten die Hersteller mit der berühmten Atmungsaktivität an, die im Inneren des Trockis entstehenden Wasserdampf nach außen transportieren soll. Aber auch das hat natürlich Grenzen. Wem der Schweiß in Sturzbächen am Oberkörper hinab läuft, der überfordert garantiert die Atmungsaktivität seines Anzugs – die außerdem nur dann funktioniert, wenn alle Kleidungsschichten atmungsaktiv sind. So wird der Erfolg der Atmungsaktivität auch durch Schwimmweste und Spritzdecke, Paddelschuhe und Sitzfläche eingeschränkt, die beim Rausschmiss von schweißbedingtem Wasserdampf allesamt nicht sonderlich hilfreich sind. Last but not least ist auch eine gewisse Temperaturdifferenz für ein effizientes Funktionieren der Atmungsaktivität erforderlich. »Wenn’s draußen richtig warm ist, atmet da nicht viel«, sagt Jan Kellner.

Fazit: Auch der beste Trockenanzug bietet keinen absoluten Schutz gegen Nässe und Feuchtigkeit, weder von außen noch von innen. Jan Kellner sagt daher: »Bei Palm reden wir nicht so gern von Trockenkleidung, eher von Paddelkleidung.« Und doch: Mit wertiger Trocken-Paddelkleidung schützt man sich durchaus gegen Nässe und, mit dem richtigen Unterziehzeug, auch gegen Kälte. Und das auch bei einem Schwimmer, zumindest für eine gewisse Zeit. Mit der richtigen Nutzung und Pflege kann man seinem Paddelzwirn dabei durchaus unter die Arme greifen. Nur eine hundertprozentige Trockenheit, die sollte man nicht erwarten. Sollte eigentlich kein Problem sein – schließlich reden wir hier von Wassersport.